Zumutbare Maßnahmen

Aus PASSAGIERRECHTE
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Gemäß Art. 5 Abs. 3 VO-EG Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) muss die ausführende Fluggesellschaft zur Vermeidung eines außergewöhnlichen Umstandes sowie infolge zur Vermeidung einer Annullierung oder Verspätung eines Fluges zu verhindern, wenn sie sich von der Pflicht zur Leistung von Entschädigungszahlungen an den Passagier befreien will.

Zumutbare Maßnahmen Definition

Eine Definition, was unter zumutbaren Maßnahmen zu verstehen ist, findet sich in der Fluggastrechteverordnung nicht. Die Definition kann anhand des Wortlautes der Verordnung und der zu Art. 5 Abs. 3 VO-EG Nr. 261/2004 vorhandenen Rechtsprechung erfolgen. Eine pauschale Definition ist dabei nicht möglich, jedoch eine Orientierung an der Rechtsprechung des EuGH geboten.

Wortlaut Art. 5 Abs. 3 VO-EG Nr. 261/2004:

Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen [...] zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Zumutbare Maßnahmen


Der Beantwortung dieser Fragen soll sich im Folgenden anhand der Rechtsprechung genähert werden. Dabei ist die Rechtsprechung des höchstinstanzlichen Gerichts, des EuGH, für die Auslegung von EU-Recht (auch "Unionsrecht") von entscheidender Bedeutung (Vgl. Art. 267 AEUV).

Ergreifen zumutbarer Maßnahmen

Umstände und Situationen, die den Flugbetrieb beeinträchtigen bzw. verzögern, können nicht in jedem Fall verhindert werden. Sofern Umstände von außen auf die Betriebssphäre einwirken und von der Fluggesellschaft nicht beherrscht werden können, liegen außergewöhnliche Umstände vor. Mit dem Wortlaut der Verordnung ist bei der Frage nach der Entschädigungspflicht der Fluggesellschaft dann danach zu fragen, ob die Fluggesellschaft den Eintritt solcher Umstände durch das Ergreifen von ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen verhindern konnte, bzw. eine daraus entstehende Verspätung oder Annullierung.

Dabei ist zunächst anhand des Wortlauts nur maßgeblich, ob der Eintritt außergewöhnlicher Umstände hätte verhindert werden könne, also der Umstände, die zur Annullierung bzw. Verspätung geführt haben - nicht hingegen die Annullierung bzw. Verspätung selbst. Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung sollen allerdings neben der Entschädigung des Passagiers auch Versäumnisse von Luftfahrtunternehmen in deren eigenem Betriebsbereich sanktionieren. Beim Eintritt außergewöhnlicher Umstände könnte sich die Fluggesellschaft also, trotz ggfs. möglicher Verhinderung einer Annullierung bzw. Verspätung, unter Berufung auf das Vorliegen nicht beherrschbarer Umstände in jedem Fall aus der Verantwortung ziehen. Dies kann dem Zweck der Fluggastrechteverordnung, insbesondere dem Verbraucherschutz, nicht gerecht werden. Daher ist zu fordern, dass auch nach Eintritt außergewöhnlicher Umstände die Fluggesellschaft verpflichtet ist, alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um eine Annullierung bzw. Verspätung doch noch zu verhindern (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az. C-549/07).

Zumutbarkeit einer Maßnahme

Die Ausnahme der Zumutbarkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass von einer Fluggesellschaft schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht gefordert werden kann, ausreichende Kapazitäten zur Aufrechterhaltung des planmäßigen Betriebes für jeden erdenklichen Zwischenfall bereitzuhalten. Bereits kurz nach dem die Fluggastrechteverordnung in Kraft getreten ist, wurde der EuGH um Klärung des Begriff ersucht. Zunächst stellte der Europäische Gerichtshof klar, dass die Einhaltung von vorgeschriebenen Mindestanforderungen keinen Beweis dafür darstellt, man hätte alle zumutbaren Maßnahmen unternommen, um den außergewöhnlichen Umstand zu verhindern. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass das Luftfahrtunternehmen alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel genutzt hat, um den Eintritt des außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Beförderung zu gewährleisten (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az. C-549/07). Deswegen kann von einer Fluggesellschaft beispielsweise erwartet werden, dass Sie, um Verspätungen oder Annullierungen infolge eines außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden, einen ausreichenden Zeitpuffer einkalkuliert, um einen ordnungsgemäßen Flugverkehr trotzdem zu gewährleisten (EuGH, Urteil vom 12.05.2011, Az. C-294/10). Etwaige Risiken müssen demnach generell vorhergesehen und einberechnet werden, da diese im Luftverkehr üblich sind. Allerdings ist in der Fluggastrechteverordnung keine Mindestzeitreserve kodifiziert. Es muss auch berücksichtigt werden, dass das Luftfahrtunternehmen nur solche Reserven einplanen kann, welche für dasselbe auch tragbar sind. Es sind daher nur solche Maßnahmen als zumutbar anzusehen, die von dem jeweiligen Luftfahrtunternehmen auch geleistet werden können. Demnach ist es vom Einzelfall abhängig, welche Maßnahmen zumutbar sind und welche nicht. Die führt zwar automatisch zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Luftfahrtunternehmen, allerdings kann man auch nicht erwarten, dass eine kleine Airline die gleiche Leistungsfähigkeit besitzt, wie eine große Fluggesellschaft. Trotzdem sind hohe Anforderungen an die Beurteilung, ob alle zumutbaren Maßnahmen unternommen wurden oder nicht, zu stellen. Die Folge wäre nämlich eine Haftungsbefreiung, welche grundsätzlich nur einen Ausnahmefall darstellen soll. Daher ist die Hürde, wann eine Maßnahme nicht mehr zumutbar ist, relativ hoch. Allerdings ist der Fluggesellschaft nicht nur zumutbar Ersatzmaßnahmen zu ergreifen, die im Rahmen ihrer eigenen organisatorischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten liegen. Ein Einsatz von Chartermaschinen o.ä. geht also über das Maß hinaus, was getan werden muss, um eine Annullierung zu vermeiden (AG Bremen, Urt. v. 04.08.2011, Az.: 9 C 135/11). Eine aussagekräftige Definition lieferte schließlich der BGH unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH:

Die Vielzahl denkbarer außergewöhnlicher Umstände sowie die Unübersehbarkeit des Ausmaßes und der Dauer der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen machen es dabei unmöglich, von den Luftverkehrsunternehmen zu verlangen, für jede denkbare Störung des Luftverkehrs in einer Weise gerüstet zu sein, die es erlaubt, durch den Einsatz zusätzlicher Flugzeuge und gegebenenfalls auch zusätzlichen Personals dafür zu sorgen, dass Annullierungen und diesen in den Folgen gleichkommende große Verspätungen stets vermieden werden können. Denn dies erforderte einen unwirtschaftlichen Aufwand, der von den Luftverkehrsunternehmen zu Lasten der Verbraucher über die Beförderungspreise gedeckt werden müsste und im Übrigen Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO im Wesentlichen seines Anwendungsbereichs beraubte." BGH, Urt. v. 12.06.2014, Az.: X ZR 121/13

Die Fluggesellschaft muss also darlegen, alle Abwägungen, die zur Streichung des Fluges führten, nachvollziehbar und im Sinne der Bestimmungen der Fluggastrechteverordnung getroffen zu haben, soweit Ersatzmaßnahmen ersichtlich und zumutbar waren (so auch treffend formuliert durch AG Erding, Urt. v. 27.07.2015, Az.: 7 C 1205/14).

Zusammenfassende Definition

Maßgeblich ist letzendlich die Rechtsprechung bzw. Auslegung der Fluggastrechteverordnung durch den EuGH als höchstinstanzliches Gericht. Anhand dessen lassen sich folgende Definitionen formulieren:

Ergreifen Zumutbare Maßnahmen

  • Es entspricht dem Zweck der Verordnung, dass die Fluggesellschaft sowohl den Eintritt außergewöhnlicher Umstände durch das Ergreifen von möglichen und zumutbaren Maßnahmen verhindern muss, als auch eine Mögliche Verspätung oder Annullierung in Folge des Eintritts außergewöhnlicher Umstände.

Zumutbarkeit

  • Zumutbar sind solche Maßnahmen, die unter Einbeziehung der Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebs einer konkreten Fluggesellschaft, tatsächlich ergriffen werden können. Daher muss eine Fluggesellschaft auf bekannte, absehbare und im Flugbetrieb kalkulierbare Risiken bzw. außergewöhnliche Umstände vorbereitet sein, nicht jedoch auf jeden denkbaren Zwischenfall.


Zumutbare Maßnahmen Sonderfälle

Urteil: Umbuchung auf ein konzernfremdes Unternehmen als zumutbare Maßnahme

In einem Urteil vom LG Korneuburg vom 27.09.16 Az.: 22 R 116/16p ging es um die Problematik des Umbuchens auf ein konzernfremdes Luftfahrtunternehmen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Luftfahrtunternehme so lange alle zumutbaren Maßnahmen zu unternehmen hat, bis der Ankunftsort erreicht wird. Dazu zählt auch eine Umbuchung auf ein konzernfremdes Unternehmen. Auch dann wenn dies für das eigene Unternehmen wirtschaftlich belastend ist.

Inhalt

Im vorliegenden Fall hatte der Fluggast einen bestätigten Flug bei Austrian Airlines von Larnaca nach Wien am 16.06.15 um 06:25 Uhr wo er 08:45 Uhr ankommen sollte und weiterhin einen Weiterflug von Wien nach Düsseldorf am 16.06.15 um 09:30 welcher 11:00 Uhr dort ankommen sollte. Der Fluggast kam durch den ersten verspäteten Flug jedoch erst 09:32 Uhr in Wien an. Aus diesem Grund wurde der Fluggast auf einen anderen Flug von Wien nach Düsseldorf umgebucht. Da der Fluggast sein Endziel mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden erreicht hat und die Entfernung mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km beträgt, verlangte dieser eine Ausgleichszahlung vom Luftfahrtunternehmen in Höhe von 400 €. Der Fluggast behauptet, dass er auch auf einen früheren Flug um 10:30 Uhr hätte umgebucht werden. Dagegen wende das Luftfahrtunternehmen jedoch ein, dass die Verspätung auf Grund von Schlechtwetterverhältnissen in Larnaca aufgetreten ist. Dadurch war nur eine Sichtweite von 100 bis 200 m möglich und allen Flugzeugen war es untersagt zu starten. Weiterhin behauptet das Luftfahrtunternehmen, dass der Fluggast bereits auf den nächsten frühestmöglichen Flug umgebucht wurde. Eine Umbuchung auf den vom Fluggast gewünschten und früheren Flug war deshalb nicht möglich, da es sich um ein konzernfremdes Unternehmen handle und höchstwahrscheinlich keine Plätze auf diesem Flug mehr verfügbar waren und selbst wenn, so wäre eine Umbuchung in einer so kurzen Zeit aussichtslos gewesen.

Tenor

Das Gericht geht davon aus, dass dem Fluggast durchaus eine Ausgleichszahlung in Höhe von 400 € zustehen könne. Eine solche würde nur dann entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Verspätung auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht. Grundsätzlich handelt es sich bei Nebel und einer unzureichenden Bodensicht um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung. Zusätzlich zu dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands muss das Luftfahrtunternehmen weiterhin darlegen können, alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben um die Verspätung zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Im vorliegenden Fall kann das Luftfahrtunternehmen nicht darlegen, warum der Fluggast nicht bereits auf den früheren und gewünschten Flug umgebucht wurde. Der oberste Gerichtshof entschied in seiner Entscheidung SZ 2013/65 zur Fluggastrechteverordnung, dass dem Luftfahrtunternehmen eine Behauptungspflicht nach Art. 5 Abs. 3 VO obliegt, nach der das Luftfahrtunternehmen darlegen muss, warum eine naheliegende Maßnahme nicht ergriffen wurde. Hier im vorliegenden Fall, warum keine Umbuchung auf einen Flug getätigt wurde, der stattfinden konnte. Weiterhin muss festgehalten werden, dass der EuGH die Verspätung eines Fluges als Ankunftsverspätung ansieht. Unter Endziel hingegen versteht der EuGH den Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Fluges. Damit der Verbraucher ausreichend geschützt werden kann, ist es gerechtfertigt, dass dem Wirtschaftsteilnehmer negative wirtschaftliche Folgen selbst eines nur beträchtlichen Ausmaßes entstehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen bis zum Erreichen des Ankunftsortes in Betracht ziehen, wenn es auf den im Flugschein genannten Ankunftsort ankommt. Dazu zählen auch das Unternehmen wirtschaftlich belastende Umbuchungen auf ein konzernfremdes Unternehmen. Weiterhin muss beachtet werden, dass die Beweislast nur geringe Anforderungen an das Luftfahrtunternehmen stellt. Ein einziger Anruf des Luftfahrtunternehmens beim Konkurrenzunternehmen wäre bereits ausreichend gewesen. Das Luftfahrtunternehmen hätte lediglich in Erfahrung bringen müssen, ob eine Umbuchung möglich gewesen sei und von der Auslastung her in Betracht gekommen wäre. Schließlich wäre es eine wirtschaftliche Entscheidung des Luftfahrtunternehmens gewesen, ob das Luftfahrtunternehmen lieber die Kosten für die Umbuchung getragen hätte oder die Kosten für die Ausgleichszahlungen.

Siehe auch