Verlust der Kontrolle

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Der Verlust der Steuerung während des Fluges (englisch: Loss of control in-flight, LOC-I) ist eine der wichtigsten Ursachen von fatalen Flugunfällen seit vielen Jahren. Der Verlust der Kontrolle ereignet sich meistens in Situationen, wenn das Flugzeug außerhalb seiner Flugbereichsgrenze betrieben wird. Die Flugbereichsgrenze beschreibt die maximale mögliche Leistung eines Flugzeuges in Bezug auf Fluggeschwindigkeit und Ladefaktor oder Flughöhe.
Ein Verlust der Kontrolle ist selten, führte jedoch in den letzten Jahren zu mehr Unfällen und forderte mehr Todesopfer als jede andere Unfallart in der kommerziellen Luftfahrt.
Kontrollverlust ist eine extreme Erscheinungsform einer Abweichung von der beabsichtigten Flugbahn. Die Unfälle passieren häufig infolge eines misslungenen Versuches, einen Strömungsabriss oder einen Upset zu verhindern oder aus diesen Zuständen auszuleiten. Ein Upset ist ein gefährlicher Zustand, bei die Flughöhe oder die Geschwindigkeit die für das bestimmte Flugzeug unbedenkliche Grenze überschreitet. Ein Strömungsabriss und ein Upset sind die Folgen eines falschen Umgangs mit Energie und Flugzeuglage, Abbau der aerodynamischen Leistung, zum Beispiel durch Vereisung oder Strukturversagen, Probleme mit Gewicht oder Balance, Turbulenzen, Windscherungen oder schlechtes Wetter (betrifft den Luftstrom um das Flugzeug).
Weiterhin kann der Pilot aufgrund von Störfaktoren, die seine Leistung beeinträchtigen, die Kontrolle über das Flugzeug verlieren, beispielsweise durch einen unbeabsichtigten Eintritt in Wetterbedingungen, die einen Instrumentenflug erfordern, ohne dass der Pilot darauf vorbereitet war und die Regeln anwendet. Ein solches Ereignis kann räumliche Desorientierung und Wahrnehmungsstörungen hervorrufen.

Gründe

Der Verlust der Steuerung kann verschiedene Ursachen haben:

  • Verlust des Situationsbewusstseins (insbesondere durch Ablenkung und Überzeugung der Piloten, dass sie keine Fehler machen können)
  • Windscherungen oder Turbulenzen bei klarer Luft
  • Struktureller oder multipler Triebwerkschaden, zum Beispiel durch Vogelschlag, infolge von starken Turbulenzen oder durch Kollision mit einem anderen Flugzeug
  • Beabsichtigte oder unbeabsichtigte falsche Handhabung des Flugzeuges
  • Flug mit Gesamtlast oder Lastverteilung außerhalb sicherer Grenzen
  • Falsche Handhabung von Drucksystemen
  • Startversuch mit Eisablagerungen oder Resten von Enteisungsmitteln auf der Flugzeugzelle
  • Starke Vereisung des Flugzeugrumpfes oder Eisansammlungen in den Triebwerken
  • Ein Versuch, das Flugzeug außerhalb seiner Möglichkeiten zu manövrieren, um ein anderes Problem zu lösen (zum Beispiel Fehlnavigation)
  • Brand während des Fluges
  • Treibstoffmangel
  • Fehlmessungen und falsche Instrumentenanzeigen
  • Wirbelschleppen, insbesondere wenn empfohlene Abstände nicht eingehalten werden
  • Bösartige Manipulation

Der Verlust der Kontrolle im Flug ist die größte Einzelursache für Unfälle mit Todesopfern und Kaskoschäden von Transportflugzeugen.

Kategorisierung

Da Kontrollverlust sich infolge komplexer Ursachen mit mehreren Begleitfaktoren ereignen kann, sind die gewählten Kategorien nicht notwendigerweise komplett unabhängig voneinander.

Signifikantes Systemversagen
Ein signifikantes Systemversagen oder Unfähigkeit, ein System zu steuern, die das normalen Flugmanagement oder die Flugzeugsteuerung stört. Dazu gehören mehrfaches Triebwerkversagen, inkorrekte Funktionsweise oder Unmöglichkeit, ein Steuerungselement zu bedienen, Ausfall elektrischer Systeme oder Fehlfunktion von kritischen Fluginstrumentenanzeigen.

Strukturversagen und/oder Stromverlust
Ein Strukturversagen oder ein Stromausfall können die sekundäre Folge von mehreren Ursachen sein: Kollision in der Luft, plötzliche Dekompression, Feuer an Bord oder Tragflächenbrand, verunreinigter Treibstoff oder in sonstiger Weise abnormale Treibstoffzufuhr.

Einsatzunfähigkeit der Crew
Eine solche Einsatzunfähigkeit der Cockpit-Crew, dass keiner der Piloten das Flugzeug steuern kann, kann schwere Folgen haben. Das hat meist physiologische Ursachen.
Tod ist die extremste Form der Einsatzunfähigkeit, aber nicht unbedingt der gefährlichste. Die meisten dokumentierten Todesfälle ereigneten sich aufgrund der Herz-Kreislauf-Krankheiten, die häufigste Ursache der Einsatzunfähigkeit ist jedoch Gastroenteritis. Weitere Ursachen sind:

  • Hypoxie (Sauerstoffmangel) infolge der Dekompression auf Flughöhen von über 3.800 Meter
  • Rauch oder Dämpfe infolge vom Brand oder Verunreinigung der Klimaanlage
  • Magen-Darm-Probleme
  • Schlaf
  • Eine Erkrankung wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Insult, oder vorübergehende psychische Beeinträchtigung
  • Körperliche Verletzung, zum Beispiel durch Angriff von einem Passagier, Terrorattacke u. Ä.

Bei einem kleinen Flugzeug mit nur einem Piloten kann dessen Einsatzunfähigkeit die Sicherheit des Fluges stark gefährden. Für zwei Piloten (typisch für kommerzielle Verkehrsflugzeuge) sollte der Ausfall kein großes Risiko für die Flugsicherheit darstellen.
Die wichtigste Lösung, damit die Einsatzunfähigkeit eines Piloten nicht zu großen Problemen führt, sind geeignete Standardbetriebsverfahren (standard operation procedures, SOP’s) und kontinuierliche praktische Schulungen.
Korrekte Handhabung der Drucksysteme und, sofern notwendig, Gebrauch von Notfallsauerstoffversorgung schützt die Piloten vor Hypoxie und Rauch oder Dampf. Unterschiedliche Essenszeit für Piloten und unterschiedliche Speisen sowohl vor als auch während des Fluges wird verhindern, dass beide Piloten wegen einer Lebensmittelvergiftung außer Gefecht gesetzt werden. Das ist heute auch eine gängige Praxis. Schlaf während des Fluges kann insbesondere bei Langstreckenflügen relevant sein, sollte aber nur gemacht werden, wenn geeignete SOPs vorhanden sind.
Der erste Hinweis darauf, dass eine komplette Crew einsatzunfähig geworden ist, ist Kommunikationsverlust. Es ist sehr schwierig für Fluglotsen herauszufinden, was auf dem Flugzeug passiert ist, wenn alle Kommunikationsmittel versagen. Wenn der Autopilot des Flugzeuges aktiviert ist, wird das Flugzeug wahrscheinlich die gewählte Flugroute weiter verfolgen. Entsprechend der gängigen Kommunikationsverlust-Verfahren kann ein Militärflugzeug beauftragt werden, das Flugzeug abzufangen und visuell zu überprüfen. Es gibt jedoch wenig, was ein Fluglotse machen kann, außer die Mindeststaffelung aufrechtzuerhalten, damit der umgebende Verkehr sicher ist.

Fehler des Flugmanagements oder der Flugsicherung
Zu dieser Kategorie könnten gehören: inkorrekte Flugleistungsberechnung, unbeabsichtigte falsche Handhabung von kritischen Flugzeugsystemen einschließlich Triebwerkautopiloten und Treibstoffzufuhr, Treibstoffmangel, Betankung vor dem Flug, Desorientierung des Piloten unter verschiedenen Sichtbedingungen, Betrieb außerhalb der Flugbereichsgrenze. Zum Teil umschließt dies auch ungeeignete oder nicht vorhandene Reaktion auf sonst relativ geringfügige Anomalien, die normalerweise die Sicherheit des Fluges nicht beeinträchtigen würden.

Umweltfaktoren
Die Umweltfaktoren umfassen: Eisansammlungen auf der Flugzeugzelle oder Sensoren vor oder während des Fluges, schwere Windscherung und Wirbelschleppe, Microburst, schwere Turbulenzen, Eis oder Vulkanasche in den Triebwerken, Vogelschlag. Diese Erscheinungen können, müssen aber nicht zum Verlust der Steuerung führen.

Beladung des Flugzeuges
Der Verlust der Kontrolle kann auftreten, wenn das Flugzeug für seine Flugbereichsgrenze zu schwer beladen ist oder die Last ungünstig verteilt ist. Durch die Umverteilung der Last und Treibstofftransfereffekte kann der Kontrollverlust bzw. Flug außerhalb der Flugbereichsgrenze auch nach dem Start eintreten.

Auswirkungen

Die Folgen des Verlustes der Steuerbarkeit können umfassen:

  • Unbehagen oder Verletzungen der Flugzeuginsassen bis zum Rückkehr zum normalen Flug
  • Strukturschäden oder totale Zerstörung des Flugzeuges
  • Todesopfer oder schwere Verletzungen der Flugzeuginsassen aufgrund eines Absturzes oder Feuers nach dem Aufprall

Die Schwere der Folgen hängt von der Fähigkeit des Piloten ab, die Situation wieder zu entschärfen. Das wiederum hängt ab von:

  • Der Art und Natur der Ursache
  • Der Erfahrung und praktischen Fähigkeiten des Piloten
  • Ausreichender Flughöhe

Vorbeugung

Folgende Vorbeugungsmaßnahmen können sinnvoll sein:

  • Multi-Crew Pilotenschulungen, welche die effektive Überwachungsaufgabe des „nicht-fliegenden“ Piloten (Pilot-Not-Flying) und aller anderen Crew-Mitglieder betonen
  • Pilotenschulungen mit dem Schwerpunkt darauf, dass sie von ihrer primären Tätigkeit – Steuerung des Flugzeuges – insbesondere in anomalen Situationen nicht abgelenkt werden sollen
  • Schulungen und Verfahren, welche die notwendige Reaktion auf Kontrollverlust, zum Beispiel durch Strömungsabriss, kritischen Querneigungswinkel und gefährliche Windscherungen trainieren
  • Weiterbildung mit Schwerpunkten auf Planung und Durchführung des Fluges unter Sichtflugbedingungen- und Regeln.

Notwendigen Fertigkeiten

Die notwendigen Fertigkeiten eines Piloten beschreiben seine Erfahrung und Fähigkeit dafür, einen Flug manuell durchzuführen.
Manuelle Flugdurchführung umfasst typischerweise das Fliegen und Manövrieren allein unter Verwendung von Rohdaten im Hinblick auf die Position, Fluggeschwindigkeit, Fluglage und Flughöhe. Auf die Verwendung von solchen Technologien wie automatische Drosselung, Autopilot, Flight Director oder anderen Flugmanagementsystemen wird dabei verzichtet. Auch eine Kombination aus manuellem Fliegen mit automatischer Steuerung der Geschwindigkeit und Richtung ist akzeptabel. Heute basiert die Beurteilung der Piloten vorwiegend auf Systemen und Crew-Management, wo Bedienung von automatischen Systemen und Aufrechterhaltung von Situationsbewusstsein viele traditionellen Flugfertigkeiten ersetzt haben.
Piloten benötigen Fähigkeiten im Umgang mit folgenden Situationen:

  • Visueller Anflug
  • Platzrundenanflug
  • Instrumentenanflug
  • Landung
  • Fehlanflug
  • Warteschleife
  • Reaktion auf Kollisionswarnsysteme
  • Startabbruch
  • Alle Flugphasen, in denen Flugsteuerungs-, Flugmanagement- und Flugnavigationssysteme versagen können.

Es gibt viele Bedenken darüber, dass Piloten mit dem Aufkommen von automatischen Systemen und Flight-by-wire ihre Kernfertigkeiten verlieren. Der Grund dafür ist die Routine von vielen Flugverfahren, große Verbreitung vom kontrollierten Luftraum und Verfügbarkeit von Instrumentenlandeverfahren. Piloten kommerzieller Fluggesellschaften fliegen typischerweise die ersten und die letzten Minuten des Fluges manuell. Wenn ein Pilot 900 Flugstunden in einem Jahr absolviert, können lediglich fünf davon manuelles Fliegen beinhalten. Darüber hinaus haben immer mehr Piloten heute noch nie die Industrie erlebt, wo manuelles Fliegen ist oder war die Norm.
Der Großteil von fatalen, aber auch nicht fatalen Unfällen ereignet sich immer noch bei der Landung oder beim Landeabbruch und der Verlust der Kontrolle im Flug ist weiterhin die häufigste Ursache dafür. Andere Sicherheitsbedenken umfassen instabilen Anflug, das Geraten über die Landebahn hinaus, harte Landungen, Beschädigung des Hecks und Überschreitung der Parameter für Triebwerke und Flugzeugzelle. Jede dieser Flugphasen und Unfallkategorien fordern den Piloten gute Fertigkeiten ab. Es wäre falsch, Mangel an Fertigkeit als Ursache für Unfälle zu identifizieren, insbesondere wo Verlust des Situationsbewusstseins, Fehlfunktion des Systems und schlechtes Crew-Resource-Management involviert sind, dennoch können effektiv angewandte Fähigkeiten des Piloten einen Unfall vermeiden und den Schaden reduzieren.
Die anspruchsvollen automatischen Systeme haben die Flugsicherheit verbessert, indem Piloten entlastet werden und somit mehr Zeit und Kapazität haben, Beurteilungen und Entscheidungen zu fällen. Piloten lernen zu fliegen, indem sie Flugparameter auf Grundlage von ihrer Prognosen und Ziele korrigieren. Mit mehrfachen Ebenen der Automatisierung und Flugmodi ist es jedoch sehr schwierig geworden, die Folgen verschiedener Fehler in jeder gegebenen Situation vorauszusagen. Ein Teil der notwendigen Reaktion auf Systemversagen ist es, manuelle Flugfertigkeiten anzuwenden. Zu hohes Vertrauen in die Automatisierung erzeugt das Risiko, dass Besatzungsmitglieder möglicherweise nicht mehr dazu in der Lage sind, in geeigneter Weise auf Fehler der Automatik zu reagieren.

Typische Beispiele

  • Pilot eines einmotorigen Flugzeuges vergisst, beim Langstreckenflug unter Sichtflugregeln die Wettervorhersage zu überprüfen und Alternativen einzuplanen. Wenn eine Wolkenuntergrenze angetroffen wird, wird der Flug zunächst über hügeligem Gelände fortgesetzt. Der Pilot trifft die Entscheidung, zurückzukehren, es ist jedoch nicht mehr genug Raum vorhanden, eine 180°-Drehung durchzuführen. Es ist nicht mehr genug Flughöhe vorhanden, um einen Strömungsabriss abzufangen.
  • Ein Frachtflugzeug wird falsch beladen. Der Fehler wird vor dem Flug nicht bemerkt. Beim Endanflug werden die Hinterkanten der Flügelklappen gesenkt und es kommt zu einem Strömungsabriss, welcher nicht mehr abgefangen werden kann.
  • Ohne Anzeichen von Feuer emittiert das Klimasystem beim Reiseflug Rauch in das Cockpit. Die Piloten setzen ihre Sauerstoffmasken nicht auf. Sie werden beide teilweise reaktionsunfähig und tätigen falsche Eingaben in das Autopilotensystem, sodass das Flugzeug in einen steilen Sinkflug übergeht und die ursprüngliche Flughöhe nicht wieder gewinnen kann.
  • Während einer ruhigen Phase des Reisefluges nutzen die Piloten die Zeit, um einen kleinen Fehler des Trägheitsnavigationssystems zu untersuchen. Piloten bemerken nicht, dass ihre Handlungen den Autopiloten deaktivieren und wenn dieser ausgeschaltet ist, hören sie die Warnung nicht. Sie entdecken den ansteigenden Querneigungswinkel und die Kursänderung nicht, was zu einer extremen Verzerrung der Fluglage führt und ein Abfangen gelingt nicht mehr.
  • Bei einem Nachtflug wird auf der Reiseflughöhe ein Schlechtwetterbereich eingetreten. Die vermehrte Vereisung des Flugzeuges wird nicht überprüft, bis der Autopilot deaktiviert ist und ein unkontrollierter Flug eintritt, welcher zum Absturz des Flugzeuges führt.
  • Nach dem plötzlichen Auftreten von abnormalen Motorschwingungen eines zweimotorigen Jet-Flugzeuges wird die Schubkraft im entsprechenden Triebwerk reduziert. Sobald das Flugzeug mit dem Landeanflug beginnt, verringert sich die Vibration ohnehin, sodass Piloten glauben, dass ihre Handlung die erwartete Wirkung gebracht hat. Beim Endanflug wird wieder mehr Schubkraft benötigt, da Landeklappen und das Fahrwerk ausgefahren werden, es wird jedoch das fehlerhafte Triebwerk ausgewählt. Die Folge ist es, dass nicht genug Schubkraft vorhanden ist und das Flugzeug vorzeitig auf dem Gelände zum Stillstehen kommt.

Links

Siehe auch

Urteile und Rechtsprechung