Anwendung der EU-Fluggastrechte in der Schweiz
Die Schweiz ist nicht Teil der EU. Die Verordnung Nr. 261/2004 gilt dennoch in der Schweiz, da die Schweiz die Übernahme der Verordnung unterzeichnet hat. Damit gelten auch sämtliche Urteile und Richtlinien für die Schweiz. Das gleiche gilt in Norwegen und Island. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof entfalten aber gerade keine direkte Wirkung auf diese drei Länder. Urteile des EuGH werden dem Gemischten Ausschuss der Schweiz zwar durch die Europäische Kommission übermittelt, aber nicht automatisch in Schweizerisches Recht umgewandelt. Vielmehr dienen die Urteile den Behörden und Gerichten der Schweiz als Auslegungsgrundlage. Urteile des EuGH können aber weder Behörden noch Gerichte in der Schweiz binden. Die Rechtsprechung des Landes bleibt damit unabhängig.
Die Schweiz lehnte am 06.12.1992 einen Beitritt zur EWR ab. Um die wirtschaftlichen Nachteile abzumildern, kam es zu Gesprächen zwischen der Schweiz und der europäischen Kommission. Das Ergebnis dieser Verhandlungen sind 7 bilaterale Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft. Eines davon war ein Luftverkehrsabkommen. Die bilateralen Verträge traten am 01.06.2002 in Kraft. Aus schweizerischer Sicht ist das Luftverkehrsabkommen ein bilateraler völkerrechtlicher Vertrag, aus europarechtlicher Sicht ein Assoziationsabkommen im Sinne von Artikel 217 AEUV. In diesem Luftverkehrsabkommen wurden durch Außenverweise das gesamte Luftrecht der Verordnung und alle vor dem 21.06.1999 ergangenen Urteile, Beschlüsse, und Entscheidungen des EuGH und der EU-Kommission aufgenommen. Damit herrschen grundsätzlich die gleichen Bestimmungen wie in einem EU-Land.
Einführung in die Thematik
In der Schweiz ist der entgeltliche Beförderungsverkehr in der Luft hauptsächlich grenzüberschreitend. Sie dürfte daher ein Interesse daran haben am Europäischen Markt teilzunehmen. Dies wäre der Schweiz durch einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) möglich gewesen. Der EWR ist eine Art Freihandelszone welche zwischen den EFTA-Staaten und den Mitgliedsstaaten der EU vereinbart wurde. Das wurde jedoch vom Volk abgelehnt. Anders als in Deutschland ist es in der Schweiz die Regel, dass die Bürger (das Volk) sachlich-inhaltliche Themen und Initiativen durch einen Volksentscheid mitbestimmen dürfen. In Deutschland nehmen die Bürger dagegen (nur) durch Wahlen Einfluss. Der Einfluss ist daher eher personell. Aufgrund der ablehnenden Entscheidung des Schweizer Volkes nahmen Unterhändler aus der Schweiz Gespräche mit der europäischen Kommission auf. Sie wollten dadurch die negativen wirtschaftlichen Folgen, welche aus der negierenden Entscheidung des Volkes resultieren können, abschwächen. Die Gespräche gestalteten sich jedoch schwierig und beinhalteten lange und intensive Verhandlungen. Schlussendlich kam man zu der Einigung über sieben sektoriellen Abkommen. Für das Reiserecht und das Recht der Passagiere ist davon vor allem ein Luftverkehrsabkommen von Bedeutung (Lufverkehrsabkommen Schweiz/EG; kurz: LVA). Die Abkommen waren dabei jedoch so verknüpft, dass bei Nichtverlängerung eines der sieben sektoriellen Abkommen, auch alle anderen hinfällig werden. Das Volk und die Stände haben den Abkommen (Bilaterale Verträge I) zugestimmt. Für die Schweiz handelt es sich bei dem LVA um ein völkerrechtlicher Vertrag. Völkerrechtliche Verträge sind Verträge zwischen Völkerrechtssubjekten, die den jeweils anderen Teil berechtigen oder verpflichten. Völkerrechtssubjekte sind in erster Linie Staaten. Jedoch besitzen auch internationaler Organisationen, wie die UN, haben Völkerrechtssubjektivität. Auch die EU, als Staatenverbund, ist Völkerrechtssubjekt, obwohl sie selbst auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruht. Jedoch ist man sich einig, dass EU-Recht eine eigene Stellung eingenommen hat und nicht mehr generell mit Völkerrecht gleichgesetzt werden kann. Aus Sicht des Europarechts handelt es sich bei dem Luftverkehrsabkommen Schweiz/EG um ein Assoziationsabkommen i.S.v. Art. 217 AEUV. Durch das Luftverkehrsabkommen hat die Schweiz im Wesentlichen die Urteile, Beschlüsse und Entscheidungen des EuGH anerkannt und auch sämtliche Verordnungen übernommen. Für die Schweiz galt also mit Abschluss der Bilateralen Verträge I das Luftverkehrsrecht, welches für sie gelten würde, wenn sie der Europäischen Union beigetreten wäre. Zudem hat die Schweiz der EU und deren Institutionen die Regelungskompetenz für die Wettbewerbsregeln übertragen und die Zuständigkeit für Streitigkeiten im Bereich des Luftverkehrsrecht dem EuGH übertragen. Man könnte daher im LVA ein Integrationsabkommen sehen.
Räumlicher Geltungsbereich der FluggastrechteVO aus Sicht der Schweiz
Problematik
Bei der EG-Verordnung 261/2004 handelt es sich um eine Verordnung der europäischen Union. Aufgrund der Tatsache, dass es sich dabei um EU-Recht handelt, ist die Verordnung auch nur grundsätzlich im räumlichen Raum der Union anwendbar. Fraglich ist daher, ob der Anwendungsbereich der Verordnung so eng zu sehen ist, dass sie nur innergemeinschaftlich gilt oder ob es von dieser grundsätzlichen räumlichen Geltung Ausnahmen gibt und Flüge aus der Schweiz oder in die Schweiz, obwohl sie kein EU-Mitglied ist, vom Anwendungsbereich der Verordnung umfasst sind. LVA gilt für die Schweiz und für Gebiete, welche den Bestimmungen des AEUV unterliegen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass der räumliche Geltungsbereich der FluggastrechteVO auch eröffnet ist, wenn der Fluggast mit einem Luftfrachtführer der Gemeinschaft aus einem Drittstaat in das Gebiet der EU reist. (Siehe Art. 3 Abs. 1 b FluggastrechteVO) Die FluggastrechteVO umfasst daher auch Fälle, die das LVA nicht umfasst. Fraglich ist daher, ob der räumliche Geltungsbereich des LVA den der FluggastrechteVO einschränkt und wenn es so ist, in welchem Maße diese Beschränkung erfolgt. Dies ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt.
Ansicht der Lehre
Nach überwiegender Ansicht in der Lehre soll die FluggastrechteVO nur in der Schweiz angewendet werden, wenn es den Luftverkehr zwischen der EU und der Schweiz betrifft. Argumentativ wird dazu vorgebracht, dass die EU und die Schweiz sich jeweils vorbehalten hätten, ihre Beziehungen zu Drittstaaten weiterhin selbst zu gestalten. Zudem sei der Präambel des LVA zu entnehmen, dass das Abkommen nur die Fluggastrechte innerhalb Europas angleichen soll. Würde man nun annehmen, dass die Luftfahrtunternehmen der Schweiz dieselben Pflichten hätten, wie die der Gemeinschaft, hätten sie dieselben Rechte im Luftverkehr mit Drittstaaten. Das ist faktisch aber nicht so.
Auffassung des BAZL
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL=Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt) ist der Ansicht, dass die FluggastrechteVO auch gegenüber Drittstaaten anzuwenden ist. Begründet wird das damit, dass die Schweiz mit der Übernahme der FluggastrechteVO im Luftverkehrsabkommen Schweiz/EG keine Ausnahme für den Geltungsbereich der Verordnung vereinbart hat. Eine Unterteilung in innereuropäische und außereuropäische Operationen sei somit nicht möglich. Eine Analogie zum Verkerhsrecht scheidet aus, da die FluggastrechteVO eine Regelung des Konsumentenschutzes ist.
Ansicht der Rechtsprechung
Schweizer Urteile
Das Zivilgericht hat es bis heute in zwei Entscheidungen abgelehnt, die EG-Verordnung 261/2004 auch anzuwenden, wenn der Sachverhalt ein Verhältnis zu Drittstaaten umfasst.
Vom 11. März 2011
In einem Urteil vom 11. März 2011 (siehe unten) hat das Zivilgericht festgestellt, dass in der Schweiz die FluggastrechteVO angewendet werden müsse. Allerdings merkt es an, dass die Anwendung der Verordnung auf Verbindungen zwischen der EU und der Schweiz beschränkt sei. Würde man die Anwendung auch in Verbindungen zu Drittstaaten zulassen, würde man den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens und mithin der Verordnung zu weit ausweiten und auslegen.
Vom 15. Mai 2012
In einem weiteren Urteil des Zivilgerichts vom 15. Mai 2012 (siehe unten) ist das Gericht derselben Auffassung gefolgt. Bei dem Abschluss des LVA hätte sich die Speis vorbehalten Beziehungen zu Drittstaaten selber zu gestalten. Beziehungen, welche die EU zu Drittstaaten pflegt, gelten für die Schweiz daher nicht. Die Geltungsbereiche des LVA und der EG-Verordnung 261/2004 sind mithin auf die Verbindungen der Schweiz und der EU beschränkt.
Vorlage beim EuGH vom 09.04.2013
Der BGH bat den EuGH um Beantwortung der Frage, ob Art. 3 Abs. 1 a auch für Fluggäste gilt, die aus der Schweiz einen Flug in einen Drittstaat antreten, gilt. Der BGH war der Auffassung, dass die EG-Verordnung 261/2004 auch in einem solchen Fall gelte. Dafür spreche vor allem, dass die Fluggastrechte durch das Abkommen innerhalb Europas angeglichen werden sollen. Was für Mitglieder der Gemeinschaft gilt, solle dann auch für die Schweiz gelten. Die Argumentation des Zivilgerichts Basel hielt der BGH nicht für überzeugend. Nachdem sich die Parteien außergerichtlich geeinigt haben, wurde das Vorabentscheidungsersuchen gestrichen. Eine Antwort des EuGH gab es zu der Frage also nicht.
Urteil des AG Hannover vom 28.03.2014
Das AG Hannover war der Auffassung, dass mit Abschluss des LVA die gesamte EG-Verordnung 261/2004 für die Schweiz gelte. Daher sei die Verordnung auch anwendbar, wenn ein Flug in einem Drittstaat startet und das Ziel in der Schweiz liegt. Der gesamte Art. 3 Abs. 1 FluggastrechteVO sei daher anzuwenden. (Näheres dazu siehe unten)
Urteil des LG Korneuburg vom 15.07.2014
Das LG Korneuburg entschied in diesem Urteil (siehe unten), dass die FluggastrechteVO auch für Flüge von und in die Schweiz gelte. Das bedeutet, da es sich bei der Schweiz nicht um einen Drittstaat i.S.d. FluggastrechteVO handelt, dass die Verordnung auch für Flüge gilt, die aus der Schweiz abfliegen oder ihr Endziel in der Schweiz haben.
Meinung der Europäischen Kommission und des EuGH
Auch die europäische Kommission musste sich bereits mit der Frage des räumlichen Geltungsbereichs von der FluggastrechteVO in der Schweiz auseinandersetzen. Sie war der Auffassung, dass die Verordnung nur für Flüge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union gelte. Wenn es sich um Flüge aus Drittstaaten handelt, welche in Zürich landen, wäre der räumliche Geltungsbereich der Verordnung nicht eröffnet und die Verordnung mithin nicht anwendbar. Auf diesen Entschluss der Europäischen Kommission klagte die Schweiz und der EuGH musste sich mit dieser Thematik doch noch auseinandersetzen. Der EuGH war dabei der Auffassung, dass die FluggastrechteVO nur Anwendung findet, wenn es sich um Verkehrsverbindungen zwischen der Schweiz und der Gemeinschaft handelt. Die europäische Kommission musste sich im sog. "Fluglärmstreit" zwischen der Schweiz und Deutschland zum räumlichen Geltungsbereich von europäischen Verordnungen äußern, die die Schweiz durch das LVA übernommen hat. Sie stellte fest, dass die Verordnung für die Schweiz nur insoweit gelte, wie Verkehrsdienste zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz betroffen sind. Am Flughafen Zürich ankommende Flüge aus Drittstaaten würden daher nicht in den Geltungsbereich des Abkommens zwischen der EU und der Schweiz fallen. Der EuGH stellte fest, dass die Schweiz nicht dem umfassenden Binnenmarkt der EU beigetreten ist und daher auch kein Teil eines rechtlichen Systems im Sinne der VO ist. Daher ergibt sich, dass der räumliche Geltungsbereich der von der Schweiz übernommenen europäischen Verordnung auf die Verkehrsdienste des Luftverkersabkommens beschränkt ist.
Was bedeutet das nun genau?
Konkret heißt das nun, dass die herrschende Lehre in der Schweiz, das Baseler Zivilgericht, die Europäische Kommission und auch der EuGH die Auffassung vertreten, dass die Anwendung der europäischen Fluggastrechte nur in Verbindungen zwischen den Staaten der Gemeinschaft und der Schweiz möglich ist. Gegen diese Auffassung sprechen jedoch folgende Erwägungen. Zunächst handelt es sich bei dem Luftverkehrsabkommen Schweiz/EG nicht um ein einfaches bilaterales Abkommen. Mit dem Abkommen hat die Schweiz vielmehr die europäischen Bestimmungen für Fluggastrechte übernommen. Sie hat also die Bestimmungen als kodifiziertes Recht anerkannt, die sie auch anerkannt hätte, wenn sie der EU beigetreten wäre. Es handele sich dabei um keine generelle Übernahme europäischer Vorschriften, aber zumindest um eine Übernahme europäischer Vorschriften insoweit, als sie die Fluggastrechte regeln. Weiterhin spricht auch der Wortlaut des LVA gegen die Auffassung des EuGH und der anderen genannten Institutionen. Zum einen ist der räumliche Geltungsbereich abschließend in Art. 34 des Luftverkehrsabkommens geregelt. Das Abkommen gilt danach für die Schweiz und die Gebiete, die von der Anwendung des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) umfasst sind. Eine Einschränkung durch Art. 15 f. LVA erscheint nicht sinnvoll. Dieser steht im Abschnitt „Verkehrsrechte“. Er beschränkt also vielmehr nur die Luftverkehrsfreiheiheiten, als dass er Einfluss auf den räumlichen Geltungsbereich hat. Zudem enthält das Abkommen auch keine Rangordnung zwischen den Bestimmungen im Abkommen und denen der FluggastrechteVO. Sie stehen also gleichrangig nebeneinander. Die nebeneinander stehenden Geltungsbereiche des Art. 34 LVA und der EG-Verordnung 261/2004 sind somit mit dem Grundsatz „lex specialis“ zu lösen. Danach ist zunächst immer der speziellen Norm zu folgen. Vorliegend ist der räumliches Geltungsbereich in der Fluggastrechteverordnung spezieller geregelt. Die übernommenen Vorschriften der Verordnung über europäische Fluggastrechte gehen somit denen des Abkommens vor. Die Schweiz hat daher die europäischen Vorschriften anzuwenden. Außerdem würde es wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, die europäischen Vorschriften nur dann anzuwenden, wenn es sich um Luftverkehr zwischen der Schweiz und der EG handelt. Luftfrachtführer, welche aus Übersee in die Schweiz mit einer Nonstop-Interkontinentalverbindung fliegen, hätten nicht die Verpflichtung bei Annullierung oder Verspätungen Ausgleichsleistungen von bis zu 600 € zu zahlen. Dies wäre ein Kostennachteil für solche Luftfahrtunternehmen, die eine solche Verbindung in Staaten der Gemeinschaft hätten. Diese Unternehmen wären nämlich nicht von solche Leistungen befreit. Um eine solche Verzerrung des Wettbewerbs auszuschließen erschient es sinnvoll, dass die EG-Verordnung 261/2004 in der Schweiz nach Maßgabe ihres eigenen räumlich-sachlichen Geltungsbereichs (siehe Anwendungsbereich der Verordnung) anzuwenden ist. Dies ist Voraussetzung dafür, dass die Schweiz Zugang zum europäischen Luftverkehrsbinnenmarkt bekommt. Schließlich verpflichtet die EU die Schweiz auch nicht hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Drittstaaten. Mit dem Abkommen hat sich die Schweiz vielmehr völkerrechtsvertraglich gegenüber der Union verpflichtet. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass es durchaus sinnvoll erscheint, dass die Schweiz die FluggastrechteVO auch anwenden muss, wenn es sich um Sachverhalte in Drittstaaten handelt.
Publikationen der europäischen Fluggastrechte
Problematik
Das LVA Schweiz/EG und damit die Übernahme der Vorschriften der FluggastrechteVO ist am 01. Dezember 2006 in Kraft gesetzt worden. Der Beschluss des Abkommens wurde jedoch erst 26 Tage danach am 27.12.2006 in der AS (Amtliche Sammlung) veröffentlicht. Die FluggastrechteVO ist war im Abkommen Schweiz/EG aufgeführt, jedoch ohne Fundstelle oder ähnliches. Auch dem Amtsblatt der EU lässt sich nicht viel mehr entnehmen. Den gesamten Text der EG-Verordnung 261/2004 finde man weder in der Amtlichen Sammlung noch in der SR. Nur in der „elektronischen Sammlung zu den Bilateralen Abkommen“ (Register) ist der vollständige Text zu sehen. Dafür ist es aber notwendig, dass man sich bis zu dem Abschnitt 5.1.7, welcher den Verbraucherschutz enthält, „durchklickt“. Gut aufzufinden kann man das auch noch nicht nennen. Außerdem ist es dann auch noch notwendig einen Link anzuklicken, denn nur über einen Hyperlink gelangt man dann zu der eigentlichen FluggastrechteVO. Auch auf der Website des BAZL gelangt man nur über einen Hyperlink zum Volltext der Verordnung. Der Zugang ist aus schweizerischer Sicht somit nur erschwert möglich.
Anforderungen an Publikationen nach dem Luftverkehrsabkommen
Das Luftverkehrsabkommen enthält als einziges sektorielles Abkommen Vorgaben für Publikationen. Der Art. 22 Abs. 3 LVA verpflichtet dazu, dass Beschlüsse des Luftverkehrsausschusses EG/Schweiz im Amtsblatt der EU und in der AS der Schweiz veröffentlicht werden müssen. Die Parteien müssen nach Art. 23 Abs. 3 LVA spätestens 8 Tage nach der Veröffentlichung in dem Amtsblatt oder in der AS hierüber informieren. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Schweiz verpflichtet ist den Volltext der Fluggastrechteverordnung in der AS zu veröffentlichen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Wie schon beschrieben, ist es ja trotzdem möglich den Volltext einzusehen. Das LVA regelt daher lediglich, dass der Volltext veröffentlicht werden muss, aber nicht auf welche Art und Weise das geschehen muss.
Publikationsanforderungen nach PublG und PublV
Völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterstehen, sind grundsätzlich vollständig in der AS zu veröffentlichen. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 a PublG. Das gilt gem. Art. 3 Abs. 1 b PublG auch für solche völkerrechtlichen Verträge oder Beschlüsse die Recht setzen oder dazu berechtigen. Beschlüsse des Luftverkehrsausschusses EG/Schweiz müssen also dann in der AS veröffentlicht werden, wenn sie Recht setzen oder zur Rechtsetzung ermächtigen. Wäre die Schweiz, wie es geplant war, dem europäischen Wirtschaftsraum beigetreten, hätte sie das Gemeinschaftsrecht, welches damit verbindlich geworden wäre, in der AS veröffentlicht. Davon hat man bei den Bilateralen Verträgen I abgesehen und vielmehr im PublG die Verweispublikation geschaffen. Das kodifizierte europäische Luftrecht muss daher i.S.d. Art. 5 Abs. 2 PublG nur mit dem Titel, sowie Fundstelle in diesem Organ oder Bezugsquelle in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht werden, wenn es auch auf anderem Wege in der Schweiz unentgeltlich zugänglich ist. Nach Auffassung des Bundesrates umfasst das auch ausländische Publikationsorgane, wie z.B. das Amtsblatt der EU. Zudem ist die Bundeskanzlei nach Art. 25 Abs. 1 PublV verpflichtet, alle aufgrund der sektoriellen Abkommen in der Schweiz anwendbaren Sekundärrechtsakte im elektronischen Register zugänglich zu machen. Es gibt Auskunft darüber, wann ein solcher Rechtsakt in der Schweiz in Kraft tritt oder außer Kraft gesetzt wurde. Im Register sind dann sogenannte Hyperlinks verfügbar, über die man schließlich zu den Volltexten der Sekundärrechtsakte gelangt.
Zusammenfassung
Die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Erlassen, welche Recht setzen, ist Teil einer modernen und demokratischen Gesellschaft. In der Schweiz ist es für die Anwendung und Verbindlichkeit gegenüber den Bürgern Voraussetzung, dass das gesetzte Recht publiziert wurde. Das ist vor allem deswegen der Fall, weil sich Bürger, für die das gesetzte Recht gilt, über die Inhalte informieren können müssen. Besteht die Möglichkeit zur Information, kann man sich nicht vor Rechtsfolgen schützen, nur weil man den Inhalt des Rechts nicht kannte. Es bestand ja mithin dann die Möglichkeit den Inhalt zu kennen. Zudem müssen die Bürger informiert werden, damit sie ihr Verhalten nach der aktuellen Rechtslage, welche sie erkennen konnten, ausrichten können. Die Fluggastrechteverordnung gibt allein in der Schweiz tausenden Passagieren täglich die Möglichkeit der Rechtsbehelfe. Diese nützen jemandem aber nur wenig, wenn sie nicht vorher veröffentlicht wurden und der Fluggast gar nicht weiß, welche Rechte und Möglichkeiten er hat. Es wäre demnach äußerst sinnvoll die EG-Verordnung 261/2004 in der AS zu veröffentlichen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Lediglich der Titel ist in der AS publiziert. Die Voraussetzungen für eine Verweispublikation ist jedoch nur erfüllt, wenn man annimmt, dass es sich bei dem Amtsblatt der EU um ein Publikationsorgan handelt, welches in der Schweiz unentgeltlich zugänglich ist. Das Amtsblatt der EU hat offiziell jedoch keine Publikationsfunktion. Der Gesetzgeber war wohl der Auffassung, dass alles was im Internet verfügbar ist und eine gewisse Zugänglichkeit besitzt, als zugänglich im Sinne einer Verweispublikation anzusehen ist. Demnach wäre das informelle elektronische Register der Bundeskanzlei auch ein Publikationsorgan und wäre frei zugänglich. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass das Register der Bundeskanzlei oder das Amtsblatt der EU Publikationsorgane der Schweiz sind, zumal das Art. 8 PublG widerspräche. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass das Amtsblatt der EU als Publikationsorgan gilt, hätte man in Art. 5 Abs. 2 PublG festhalten müssen, dass auch bundesexterne Publikationsorgane für die Verweispublikation taugen. Folglich ist die FluggasrechteVO nicht ausreichend publiziert. Das hat jedoch nicht zur Folge, dass die Verordnung nicht angewendet werden kann. Vielmehr hat das zur Folge, dass das nicht ausreichend publizierte Recht, für den Rechtsunterworfenen nicht verbindlich ist. Es besteht jedoch trotzdem die Möglichkeit, dass die Rechtsunterworfenen ihre Rechte aus den nicht ausreichend publizierten Erlassen ableiten, sofern das nicht zum Nachteil eines anderen Rechtsunterworfenen führt. Fraglich ist daher, ob sich Luftfrachtführer darauf berufen können, dass die FluggastrechteVO nicht ausreichend publiziert war bzw. ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Luftfahrtunternehmen müssen wissen, welche Rechte und Pflichten sie haben und was auf sie zukommen kann. Die meisten Unternehmen kennen die Verordnung auch. Viele der international tätigen Luftfrachtführer verweisen sogar auf ihren Websites auf die Verordnung. Sie sind daher auch nicht schutzwürdig, was eine nicht ausreichende Publikation betrifft. Die schweizerischen Publikationsvorschriften sind zwar verletzt, allerdings können daraus so gut wie keine Rechtsfolgen abgeleitet werden. Eine Besserung dieser Mängel ist jedoch trotzdem wünschenswert. Schließlich ist zu erwähnen, dass seit dem 01.01.2016 die elektronische Fassung der AS maßgeblich ist. Trotzdem hat der Bundesrat die Verweispublikation beibehalten, was eine transparente Rechtsgestaltung nicht unbedingt fördert.
Nichtbeförderung im Schweizer Recht
Der häufigste Fall der Nichtbeförderung ist die Überbuchung. Dabei hat der Kunde einen Anspruch auf Erstattung des Ticketpreises oder anderweitige Beförderung. Ist absehbar, dass einem Fluggast die Beförderung gegen seinen Willen verweigert wird, muss die Fluggesellschaft zunächst nach Freiwilligen suchen, die bereit sind, ihre Plätze gegen vereinbarte Bedingungen aufzugeben. Die Höhe der Entschädigung ist gestaffelt:
250 € bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1.500 km
400 € bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1.500 km und 3.500 km
600 € bei Flügen mit einer Distanz über 3.500 km.
Die Entschädigung kann halbiert werden, wenn sich Ihre Reise, je nach Entfernung, nicht länger als 2, 3 oder 4 Stunden verzögert. Keine Ausgleichszahlung wird dagegen geschuldet, wenn sich z.B. Passagiere zu spät am Check-in oder am Gate einfinden, sie nicht alle notwendigen Reiseunterlagen dabei haben oder wenn die Fluggesellschaft andere legitime Gründe für eine Nichtbeförderung geltend machen kann. zudem ist die Airline verpflichtet, Mahlzeiten und Getränke im Verhältnis zur Wartezeit anzubieten. Auch ein Anspruch auf eine Hotelübernachtung kann bestehen.
Prinzipiell gilt für alle Airlines, die von einem Schweizer oder EU-Flughafen starten, die EU-Verordnung Nr. 261/2004, die Überbuchungen, Annullierungen oder große Verspätungen regelt. Die gleiche Verordnung gilt auch für alle Flüge einer Schweizer oder EU-Fluggesellschaft in die Schweiz oder in die EU-Länder. Sie schreibt vor, dass die Fluggesellschaft je nach Flugstrecke ab einer Abflugsverspätung von zwei Stunden Getränke- und Verpflegung zur Verfügung stellen muss. In der EU können Reisende zusätzlich eine finanzielle Entschädigung geltend machen, wenn der Flug mehr als drei Stunden verspätet ankommt. In der Schweiz hat das Bülacher Bezirksgericht in einem Urteil von 2016 diesen Anspruch abgelehnt. Ob ein anderes Gericht auch so entscheiden würde, ist offen.
Annullierung im Schweizer Recht
Wird der Flug annulliert, besteht ein Anspruch auf Betreuungsleistungen und eine Ausgleichszahlung. Die Betreuungsleistung liegt im Anbieten von Alternativverbindungen oder einer Flugpreiserstattung. Es gelten die Allgemeinen Grundsätze zur Flugannullierung. Die Höhe der Entschädigung ist gestaffelt:
250 € bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1.500 km
400 € bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1.500 km und 3.500 km
600 € bei Flügen mit einer Distanz über 3.500 km
Wird der Passagier mehr als 14 Tage im Voraus über den Flugausfall informiert, entfällt der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Eine Fluggesellschaft ist auch dann nicht entschädigungspflichtig, wenn sie belegen kann, dass eine Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist. Auch bei außergewöhnlichen Umständen sind Fluggesellschaften verpflichtet, Betreuungs- und Unterstützungsleistungen zu erbringen.
Flugverspätung im Schweizer Recht
Es gelten die Allgemeinen Grundsätze zur Flugverspätung. Im Falle einer gro?en Verspätung muss die Fluggesellschaft Mahlzeiten und Getränke im Verhältnis zur Wartezeit anbieten. Eine Verspätung fällt erst unter den Anwendungsbereich der Verordnung, wenn sie folgende Kriterien erfüllt:
2 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1'500 km
3 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1'500 km und 3'500 km
4 Stunden Abflugverspätung bei Flügen mit einer Distanz über 3'500 km
Der Gesetzestext der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 sieht keine Ausgleichszahlung im Falle einer Verspätung vor. Es gibt allerdings EuGH, in denen steht, dass ab einer Ankunftsverspätung am Zielort von mindestens 3 Stunden der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung besteht
Problempunkt SwissAir
Swiss ist eine Tochterfirma der Lufthansa. Die EU-Verordnung schützt grundsätzlich nicht bei allen Flügen von Drittstaaten in die Europäische Union, allerdings auf allen Flügen, die von einer Airline aus der Europäischen Union durchgeführt werden. Dazu zählt die Swiss allerdings nicht, da sie als Schweizer Airline keine EU-Airline ist. Daher ist es in der regel schwierig, erfolgreich von SwissAir eine Entschädigung zu erhalten.
Entscheidungen der Schweizer Gerichte
Schweizer Gerichte sind ebenfalls unabhängig. Neuere Urteile des EuGH müssen in der Schweiz nicht unbedingt Rechtsanwendung finden. Einige Gerichte legten fest, dass die Verordnung nur für Flüge zwischen der EU und der Schweiz, und somit nicht zwischen der Schweiz und Drittstaaten Anwendung findet. Eine Besonderheit stellt indes der Flughafen Basel dar. Das Gelände des Flughafens befindet sich auf französischen Boden, wird aber zu den Schweizer Flughäfen gezählt. Der Staatsvertrag, der zum Betrieb des Flughafens zwischen Frankreich und der Schweiz geschlossen wurde, sieht aber vor, dass in rechtlichen Angelegenheiten französisches Recht und damit auch EU-Recht gelten soll.
Anzeige in der Schweiz
In der Schweiz kann eine Anzeige oder ein Anspruch gegen eine Fluggesellschaft online über ein Onlineformular der BAZL geltend gemacht werden. Zusätzlich muss der Schriftwechsel mit der Airline beigefügt werden. Zuerst muss jedoch der Kontakt mit dem betreffenden Luftfahrtunternehmen gesucht werden. Ist der Reisende mit der Antwort nicht zufrieden, oder hat innerhalb von 6 Wochen noch keine Rückantwort bekommen, kann er sich an das BAZL wenden. Danach holt das BAZL bei der Fluggesellschaft eine Stellungnahme ein. Diese wird dann ausgewertet und allenfalls ein Verwaltungsstrafverfahren eröffnet. Dabei sind die Passagiere nicht Teil dieses Verfahrens und haben somit keine Parteistellung inne. Für Passagiere entstehen dabei keine Kosten. Je nach Anzahl der eingehenden Anzeigen und deren Komplexität, kann die Bearbeitungszeit unterschiedlich lange dauern. Für die Durchsetzung von Geldforderungen ist das BAZL nicht zuständig. Eine Anzeige kann aber unter Umständen dazu führen, dass die Fluggesellschaft eine Entschädigung leistet. Sollte dies nicht der Fall sein, kann der zivile Rechtsweg eingeschlagen werden.
Rechtsprechung
Gericht, Datum | Aktenzeichen | Zusammenfassung (siehe Reiserecht-Wiki) |
---|---|---|
BGH, Beschluss vom 09.04.2013 | X ZR 105/12 |
|
LG Korneuburg, Urteil vom 15.07.2014 | 21 R 106 |
|
AG Hannover, Urteil vom 28.03.2014 | 562 C 9420/13 |
|
ZG Basel, Entscheid vom 15.05.2012 | V.2012.213 |
|
ZG Basel, Entscheid vom 11.03.2011 | V.2010.1734 |
|