Verspätung und Rechtsfolgen: Rücktritt

Aus PASSAGIERRECHTE
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Rücktritt stellt ein Gestaltungsrecht dar und meint die Rückgängigmachung eines Schuldverhältnisses durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Möchte der Fluggast im Fall einer Abflugverspätung nicht am Vertrag festhalten, steht es ihm zu gemäß § 323 BGB vom Luftbeförderungsvertrag zurückzutreten. Es fragt sich, welche Voraussetzungen für einen solchen Rücktritt notwendig sind und welche Rechtsfolgen eine solcher Rücktritt auslöst.

Rücktrittsrecht

Um von einem Vertrag zurücktreten zu können, ist immer erforderlich, dass ein Rücktrittsrecht vorliegt. Ein solches kann sich aus Vertrag oder aus dem Gesetz ergeben. Da ein vertragliches Rücktrittsrecht entweder nicht vereinbart ist oder unproblematisch vorliegt, wird im Folgenden näher auf das Vorliegen eines gesetzlichen Rücktrittsrechts eingegangen.

Vorfragen

Bevor auf die einzelnen Voraussetzungen eingegangenen werden kann, stellen sich jedoch einige Vorfragen.

Vorleistungspflicht des Fluggastes

Damit der Fluggast zurücktreten kann ist zunächst erforderlich, dass sein Anspruch wirksam und durchsetzbar ist. Durchsetzbar ist ein Anspruch insbesondere dann, wenn der Fluggast seine Hauptleistungspflicht bereits erfüllt hat. Diese Pflicht ist dann erfüllt, wenn der Fluggast das Beförderungsentgelt bezahlt hat. Gemäß 641 Abs.1 BGB ist die Vergütung bei der Abnahme zu entrichten. Das bedeutet, dass die Entgeltforderung grundsätzlich erst bei Abnahme fällig wird. Nach § 646 BGB tritt an die Stelle der Abnahme die Vollendung des Werkes, wenn die Abnahme nach der Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist. Die Abnahme ist die körperliche Entgegennahme des Werkes unter Anerkennung des Werkes als vertragsgemäße Leistung. Eine Beförderungsleistung kann man nun aber nicht körperlich entgegennehmen, da es sich bei diesem Werk nicht um einen körperlichen Gegenstand handelt. Das Beförderungsentgelt ist also erst mit Vollendung der Beförderung fällig. Eine Beförderung ist in dem Moment vollendet, in dem der Fluggast aus dem Flugzeug aussteigt. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) der Luftfahrtunternehmen enthalten jedoch in der Regel eine Klausel, welche den Fluggast zur Vorleistung verpflichtet. Sofern diese Bedingungen wirksam vereinbart wurden, kann der Luftfrachtführer die Beförderung also verweigern, wenn etwaige Zahlungsleistungen noch nicht erbracht worden sind. Dem Luftfrachtführer wird dadurch seinerseits ein Rücktrittsrecht eingeräumt, indem er im Falle der Nichtzahlung zurücktreten kann. Das Beförderungsentgelt ist somit bereits vor Beförderung fällig, was auch nicht als nachteilig im Sinne des § 307 BGB angesehen werden kann.

Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts

Fraglich ist, ob die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts direkt anwendbar sind oder nur über die Verweise im Werkmangelgewährleistungsrecht Anwendung finden. Grundsätzlich sind die Vorschriften des allgemeinen Leistungstörungsrechts beim Werkvertrag direkt anwendbar. Dies gilt bis zum Zeitpunkt der Abnahme. Da die Abnahme vorliegend durch die Vollendung ersetzt ist, beginnt auch die besondere Verjährung der Mängelgewährleistung erst mit Vollendung der Beförderung. Dies stellt, wie bereits erläutert, das Aussteigen des Fluggastes dar. Da aber im Fall einer Abflugverspätung die Vollendung noch gar nicht stattgefunden haben kann, scheidet die Anwendung der Werkmangelgewährleistungsrechte schon grundsätzlich aus. Die herrschende Meinung verlangt jedoch, dass dem Besteller die Mängelrechte auch vor Abnahme des Werkes zur Verfügung stehen, wenn offensichtlich ist, dass bei der Abnahme ein Mangel gegeben ist. Es muss also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass der Mangel bei Abnahme des Werkes vorliegt. Dies wird allerdings mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden sein. Trotzdem bejahen einige Vertreter der Literatur die Anwendung der Mängelrechte hinsichtlich des Luftbeförderungsvertrages. Ihre Argumentation überzeugt jedoch nicht. Vor Beginn der Beförderung muss eine Anwendung der Werkmangelgewährleistungsrechte definitiv ausscheiden. Bei einer Abflugverspätung kommen mithin nur die allgemeinen Leistungsstörungsrechte in Betracht.

Voraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB

Fraglich ist welche weiteren und genauen Voraussetzungen an den Rücktritt aus § 323 BGB gebunden sind.

Keine oder nicht vertragsgemäße Leistung

Zunächst ist erforderlich, dass nicht oder nicht vertragsgemäß geleistet wurde. Diese nicht vertragsgemäße Leistung besteht bei einer Abflugverspätung in einer verzögerten Leistung. Eine Leistung ist dann verzögert, wenn der Luftfrachtführer eine fällige Leistung nicht erbracht hat. In dem Zeitpunkt, in dem die vereinbarte Abflugzeit überschritten wird, ist diese Voraussetzung gegeben. Das ist aus dem Grund der Fall, da bezüglich der Fälligkeit auf den Abflug- und den Ankunftszeitpunkt abgestellt werden kann. Wird die Beförderung nicht zu dem vereinbarten Zeitpunkt begonnen, stellt das grundsätzlich eine Nichtleistung dar. Der Fluggast kann sich dann auf die Abflugzeit oder auch auf die Ankunftszeit berufen, sollte dies für den Fluggast günstiger sein. Der Fluggast müsste allerdings hinsichtlich der Ankunftszeit beweisen, dass die Ankunftsverspätung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon im Zeitpunkt des Rücktritts feststand, was mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Problematisch ist, ob auch geringfügige Verspätungen ein Rücktrittsrecht begründen. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB legt zumindest für Schlechtleistungen fest, dass unerhebliche Pflichtverletzungen kein Rücktrittsrecht begründen. Bei einer Abflugverspätung handelt es sich jedoch nicht um eine Schlechtleistung. Jedoch ist allgemein anerkannt, dass die Vorschrift auch für Nebenleistungspflichten gilt. Die Einhaltung der Leistungszeit stellt eine solche dar. Somit berechtigt eine unerhebliche Verspätung noch nicht zum Rücktritt. Wann eine Verspätung unerheblich ist, ist durch Interessenabwägung zu ermitteln. Die allgemein anerkannte Bagatellgrenze liegt bei 15 Minuten.

Nachfristsetzung

Des Weiteren ist fraglich, ob eine Nachfristsetzung überhaupt erforderlich ist. Gemäß § 323 Abs. 2 BGB ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn der Luftfrachtführer die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, ein relatives Fixgeschäft vorliegt oder besondere Umstände vorliegen. Eine ernsthafte und endgültige Verweigerung, sowie ein relatives Fixgeschäft, liegen in der Regel nicht vor. Es kommen somit nur die besonderen Umstände in Betracht. Für das Vorliegen besonderer Umstände könnte sprechen, dass bei einem Flug hunderte Passagiere die Nachfristsetzung erklären müssten. Schon aus organisatorischen Gründen könnte dies abzulehnen sein. Weiterhin wäre es schwierig für den Fluggast zu beweisen, dass er tatsächlich eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Allgemein anerkannt ist daher, dass zwar auf das Setzen der Nachfrist seitens des Fluggastes verzichtet werden kann, jedoch nicht auf die Nachfrist an sich. Würde man auf die Nachfristsetzung verzichten, würde man den Luftbeförderungsvertrag doch als relatives Fixgeschäft qualifizieren. Dem Luftfrachtführer muss zusätzlich zu der Bagatellgrenze von 15 Minuten eine Frist gewährt werden, in der er Zeit hat die Leistung noch zu erbringen. Der Lauf der Nachfrist soll nach Überschreiten der Abflugzeit automatisch beginnen. Fraglich ist allerdings, wie die Nachfrist zu bemessen ist. Die Passagiere kalkulieren häufig schon gewisse Verspätungen ein. Dabei werden sie bei längeren Flügen auch eine größere Verspätung einkalkulieren. Es ist für den Fluggast festzuhalten, dass die angemessene Nachfrist durch die Addition einer zulässigen Grundverspätung und einer zulässigen flugabhängigen Verspätung ermittelt wird. Fraglich ist, ob geringfügige Überschreitungen der Nachfrist eine Folge haben. Unter ganz besonderen Umständen kann eine geringfügige Überschreitung der Nachfrist unbeachtlich sein. Lediglich ein Überschreiten von 10-15 Minuten erscheint hinnehmbar.

Einschränkungen und Erweiterungen des Rücktrittsrechts in den ABB

Eine Einschränkung des Rücktrittsrechts in den allgemeine Beförderungsbedingungen allgemeinen Beförderungsbedingungen ist grundsätzlich denkbar. Dies folgt aus der Dispositivität des § 323 BGB. Allerdings müssen dabei die Grenzen der §§ 307 ff. BGB beachtet werden. Die Rechte der Fluggäste können also nur sehr begrenzt eingeschränkt werden. Denkbar wäre beispielsweise eine Änderung in den ABB bezüglich einer Verspätung wegen höherer Gewalt. Das würde bedeuten, dass der Fluggast nicht zurücktreten kann, wenn der Luftfrachtführer die Verspätung wegen höherer Gewalt nicht zu vertreten hat. Eine solche Klausel hat nach dem momentanen Stand allerdings noch keinen Einklang in die allgemeinen Beförderungsbedingungen der verschiedenen Luftfahrtunternehmen gefunden.

Andererseits sind auch Erweiterungen des Rücktrittsrecht in den ABB möglich. Dies ist ebenfalls wegen des dispositiven Charakters des § 323 BGB möglich. Beispielsweise könnte da auf das Erfordernis der Fristsetzung verzichtet werden. Das Rücktrittsrecht richtet sich dann nach den Vertragsbedingungen.

Rücktrittserklärung

Der Rücktritt muss weiterhin auch erklärt worden sein. Bei einer Rücktrittserklärung muss das Wort Rücktritt nicht unbedingt fallen. Es genügt vielmehr, dass die andere Vertragspartei erkennt, dass der Rücktrittsberechtigte nicht mehr am Vertrag festhalten will.


Ergebnis

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Fluggast die Möglichkeit des Rücktritts bei einer Abflugverspätung hat. Die Nachfrist beginnt dabei mit Überschreiten der Abflugzeit. Deren Dauer bestimmt sich aus der oben genannten Erläuterung. Rechtsfolgen eines Rücktritts sind insbesondere das Erlöschen der Leistungspflichten und die Rückgewähr der bereits empfangenen Leistungen. Eine Fluggesellschaft darf in ihren AGB nicht ausschließen, ihren Kunden Steuern und Gebühren zu erstatten, falls sie von ihrem Beförderungsvertrag zurücktreten sollten (Urt. v. 14.12.2017, Az. 2-24 O 8/17).

Genutzte Rechtsprechung

Gericht, Datum Aktenzeichen Amtliche Leitsätze/Inhalt
OLG Dresden, Urteil vom 21.06.2012 8 U 1900/11
  • Klauseln die vom Reisenden 40 % des Reisepreises als Anzahlung und 45 Tage vor Reisebeginn die Zahlung des restlichen Reisepreises verlangen sind unwirksam, da diese gegen die gesetzliche Vorleistungspflicht des Reiseveranstalters verstoßen.
  • Dies gilt auch im Fall des „Dynamic Packaging“.
LG Frankfurt, Urteil vom 27.01.2009 2-24 S 177/08
  • Bei einem Reisevertrag, der auch eine Luftbeförderung beinhaltet, ist eine Verzögerung des Fluges bis zu 4 Stunden grundsätzlich hinzunehmen und begründet keine reisevertraglichen Ansprüche.
LG Frankfurt, Urteil vom 30.08.2007 2-24 S 39/07
  • Die verfrühte anderweitige Vergabe des Rückflugs, stellt einen Reisemangel im Sinne von § 651 c I BGB dar.
LG Duisburg, Urteil vom 19.01.2007 1 O 229/06
  • Die Vereinbarung der Beförderung mit einer bestimmten Komfort-Klasse stellt eine vertragliche Zusicherung dar.
  • Bei Nichteinhaltung dieser Zusicherung ist der Reisende zum Rücktritt vom Reisevertrag berechtigt.
LG Koblenz, Urteil vom 12.11.2003 12 S 164/03
  • Ein Fluggast kann von einem Reisevertrag zurück treten, wenn die abweichenden Reisezeiten zu einer erheblichen Änderung der Reiseleistung führen.
AG Düsseldorf, Urteil vom 08.07.2009 25 C 663/09
  • Die Anwendung von deutschem Recht richtet sich nach dem Ort der Niederlassung des beklagten Unternehmens.