Anwendbares Sachrecht bei internationalen Reisen

Aus PASSAGIERRECHTE
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Im Reiserecht kommt es bei streitigen Sachverhalten oft zu internationalen Bezügen. Es stellt sich daher immer die Frage, welches Recht überhaupt anzuwenden ist, wenn Kläger und Beklagter aus unterschiedlichen Staaten kommen. Zudem stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis internationale Reiserechtsquellen stehen und welche bei konkurrierender Regelungslage vorrangig Geltung beanspruchen.

Rechtsquellen

Um Recht anzuwenden, braucht man Gesetzestexte. Solche werden auch als Rechtsquellen bezeichnet. Bei Reisen handelt es sich, wie schon erwähnt, oft um internationale Sachverhalte. Welches Recht für einen Streit angewendet werden muss, bestimmt sich ebenfalls aus Rechtsquellen. Natürlich sind diese Rechtsquellen nur dann von Bedeutung, wenn der Sachverhalt einen Auslandsbezug hat. Besteht nämlich kein Auslandsbezug, dann findet inländisches Recht Anwendung und das anwendbare Recht ist gar nicht strittig.

Anwendbares Recht bei Reisen

EGBGB

Für Altfälle bestimmt sich nach dem EGBGB, welches Recht angewendet werden muss. Das anzuwendende Recht ergibt sich aus den Art. 3 bis 46d EGBGB. Das gilt allerdings nur, solange nicht andere Rechtsquellen wie die Rom-I-VO, Rom-II-VO oder andere völkerrechtliche Verträge vorrangig anzuwenden sind. Anwendungsvorrang haben daher völkerrechtliche Verträge und unionsrechtliche Verordnungen. Für Reiseverträge die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden, ergibt sich das anwendbare Recht noch aus den Art. 27 ff. EGBGB. Welches Sachrecht bei Luftbeförderungsverträgen und der Miete von Ferienunterkünften vom Reisedienstleister anwendbar ist, bestimmten Art. 27, 28 EGBGB. Auch für unerlaubte Handlungen regelt das EGBGB das anwendbare Sachrecht. Allerdings gilt dies nur für Altfälle. Die Art. 27 ff. EGBGB sind nach dem 17.12.2009 weggefallen. Ersatzweise galt ab diesem Zeitpunkt die Rom-I-VO, wie sich aus Art. 28 Rom-I-VO ergibt. Altfälle dürften an den Instanzgerichten heutzutage, wenn überhaupt, nur noch sehr selten Inhalt eines Rechtsstreits sein. Bedeutsam ist vielmehr, woraus sich das anwendbare Recht nach dem 17.12.2009 ergeben hat und heute immer noch ergibt.

Rom-I-VO

Für Verträge, welche nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden, gilt innerhalb der Europäischen Union die Rom-I-VO. Sie regelt insbesondere das bei vertraglichen Schuldverhältnissen anzuwendende Recht. Art. 4 ff. Rom-I-VO regelt das anwendbare Recht für verschiedene Schuldverhältnisse, d.h. Vertragsarten. Die Rom-I-VO musste nicht in das deutsche Recht umgesetzt werden. Anders als europäische Richtlinien, gelten europäische Verordnungen nämlich in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union unmittelbar. Räumlich gesehen gilt die Rom-I-VO jedoch nicht für Dänemark. Durch ihren universellen Anwendungsbereich ist die Rom-I-VO jedoch nicht nur auf EU-interne Sachverhalte anwendbar. Das folgt aus Art. 2 Rom-I-VO.

Rom-II-VO

Für außervertragliche, also i.d.R. gesetzliche, Schuldverhältnisse gilt seit dem 11.1.2009 die Rom-II-VO. Sie ist auf alle Fälle anwendbar, die ab diesem Zeitpunkt entstehen. Damit sind die Schäden oder die schädigenden Ereignisse gemeint. Gesetzliche Schuldverhältnisse sind vor allem Ansprüche aus dem Verschulden bei Vertragsverhandlungen (die sogenannte culpa in contrahendo), aus der Geschäftsführung ohne Auftrag, aus der ungerechtfertigten Bereicherung und Ansprüche aus unerlaubten Handlungen. Auch diese Verordnung gilt nicht im Verhältnis zu Dänemark. Daher ist für solche Fälle immer noch das EGBGB anzuwenden. Aus Art. 3 Rom-II-VO folgt der universelle Anwendungsbereich. Das bedeutet auch sie ist nicht nur auf EU-interne Sachverhalte beschränkt.

Auslandsbezug des Sachverhalts

Ungeschriebenes Merkmal für die Anwendung des sogenannten Kollisionsrechts und mithin der europäischen Verordnungen ist der Auslandsbezug des Sachverhalts. Würde der Sachverhalt einen solchen nicht haben, würde selbstverständlich nur das inländische Recht Anwendung finden. Auch wenn der Auslandsbezug als ungeschriebenes Merkmal gilt, so finden sich trotzdem zahlreiche Normen und Formulierungen in den Rechtsquellen, aus denen sich dieses Merkmal ableiten lässt. Beispielsweise bestimmt sich nach Art. 3 EGBGB das anzuwendende Recht danach, ob eine Verbindung zu einem ausländischen Staat vorliegt. Auch die Rom-I-VO verlangt, dass die Schuldverhältnisse eine Verbindung zum Recht unterschiedlicher Staaten aufweisen. Auch die EuGVVO verlangt einen grenzüberschreitenden Bezug aus der Sicht eines Mitgliedstaates. Man kann also aus verschiedenen Rechtsquellen die Voraussetzung eines Auslandsbezuges ableiten. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Anforderungen an das Vorliegen eines Auslandsbezuges gestellt werden. Dabei ist es nicht problematisch festzustellen, wann Verbraucher und Reisedienstleister aus verschiedenen Ländern kommen. Vielmehr kann es zu Konstruktionen kommen, in denen Reisedienstleister und Verbraucher aus denselben Mitgliedstaaten kommen, der Reisevermittler jedoch im Ausland liegt. Genau dieses Problem behandelte der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom 14.11.2013. (Az: C-478/12) In dem Urteil stellte der EuGH die untrennbare Verbindung zwischen Reisevermittlungsvertrag und Reisevertrag fest. Das bedeutet in diesem Fall hat es ausgereicht, dass der Reisevermittler ausländisch war, um die Anwendbarkeit einer europäischen Verordnung zu bejahen, da der Reiseveranstalter den Vertrieb hauptsächlich über den ausländischen Reisevermittler organisiert hat. Auch in so einem Fall liegt also ein Auslandsbezug vor. Dieses Urteil hat vor allem praktische Bedeutung, da viele Reiseveranstalter ihre Reisen über ausländische Online-Reisevermittler vertreiben. Die Internationalität der Reise ist daher die wichtigste Voraussetzung, um das anwendbare Sachrecht durch europäische Verordnungen oder völkerrechtliche Verträge zu bestimmen.

Das Verhältnis von europäischen und globalen Regeln

Die Vereinheitlichung von Recht

In Europa vereinheitlichen europarechtliche Vorschriften die Regelungen zu gewissen Themenkomplexen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Das EU-Recht geht dem Recht der Mitgliedstaaten vor. Ein höherrangiges Recht als das Unionsrecht existiert in der Regel nicht. Allerdings gibt es in einigen Rechtsbereichen so ein hohes wirtschaftliches Potential, dass dort internationales Recht, welche im Rang über dem europäischen Recht steht, geschaffen werden musste. Da es für internationales Recht und dessen Durchsetzung selbstverständlich keine Institutionen wie beispielsweise einen Staat zwischen den einzelnen Staaten gibt, musste eine andere Möglichkeit geschaffen werden, um verbindliche Regelungen zu erschaffen, die international gelten. Man schloss völkerrechtliche Abkommen, die in einem internationalen Vertrag Regeln aufstellten, die für die Staaten, welche ihn unterzeichnet (ratifiziert) haben, verbindlich sind.

Zu solchen Rechtsbereichen, welche einer internationalen Vereinheitlichung bedürfen, gehört natürlich auch das Reiserecht. Dafür wurde 1929 zunächst das Warschauer Abkommen geschlossen. Abgelöst wurde es durch das 1999 geschlossene Montrealer Übereinkommen. Man könnte nun Annehmen, dass der europäische Gesetzgeber kein Bedarf mehr hatte, in diesem Bereich europäische Regelungen zu treffen. Trotzdem hat man es sich nicht nehmen lassen eigene europarechtliche Regelungen zum Reiserecht und insbesondere zu Luftbeförderungsvertrag zu treffen. Auch nachdem die Europäische Union dem Montrealer Übereinkommen beigetreten ist und es internationales Einheitsrecht für die europarechtlich geregelten Bereiche gab, sind die europäischen Vorschriften nicht ersatzlos weggefallen. Vielmehr wurde mit der Fluggastrechteverordnung eine weitere europäische Rechtsquelle geschaffen. Da nun europäische Regeln mit internationalen Einheitsrecht konkurrierten, gab es Streitigkeiten darüber, welche Vorschriften denn nun vorrangig sind.

Entscheidung des EuGH

Damit musste sich auch der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom 10.01.2006 beschäftigen. (Az: C-344/04) Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil klar, dass das Montrealer Übereinkommen vorrangig vor dem europäischen Sekundärrecht anzuwenden ist. Das ergibt sich insbesondere aus dem Grundsatz der Selbstbindung, da die europäische Union (damals noch europäische Gemeinschaft) das Montrealer Übereinkommen selbst ratifiziert hat. Regelungen der Fluggastrechteverordnung, die gegen das Übereinkommen von Montreal verstoßen, sind deswegen unwirksam. Die ganze Fluggastrechteverordnung ist allerdings nicht unwirksam. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss auch, dass Normen, die übereinstimmen, nebeneinander bestehen können. Das Urteil hat daher auch Auswirkungen auf künftige Rechtsakte der europäischen Union im Reiserecht. Das Montrealer Übereinkommen muss bei solchen Rechtsakten immer beachtet werden und es dürfen keine abweichenden Regelungen getroffen werden.

Rechtswahlklauseln

Es besteht der Grundsatz der freien Rechtswahl. Dieser ist insbesondere in den Art. 3 ff. Rom-I-VO manifestiert. Dabei muss zwischen der ausdrücklichen und stillschweigenden Rechtswahl. Eine solche kann jedoch auch gänzlich fehlen.

Ausdrückliche Rechtswahl

Wie sich aus Art. 3 Rom-I-VO ergibt, kann der Reiseveranstalter in seinen AGB deutsches Recht vereinbaren. Aus der Norm ergibt sich war auch, dass die Parteiautonomie es zulassen würde, dass grundsätzliche jede beliebige Rechtsordnung vereinbart wird, dennoch vereinbaren die deutschen Reiseveranstalter in der Regel das deutsche Recht. Allerdings verzichtet der deutsche Reiseverband seit 2012 auf Rechtswahlklauseln in den AGB, um das Regelwerk nicht zu überfüllen. Beschränkt wird die Rechtswahlfreiheit durch Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO. Danach kann nicht das Recht eines Staates durch die Wahl einer anderen Rechtsordnung ausgeschlossen werden, wenn die entscheidenen Ereignisse des Sachverhalts in diesem Staat stattgefunden haben. Vereinbaren die Parteien trotzdem das Recht eines Drittstaates, so gelten nach Art. 3 Abs. 4 Rom-I-VO trotzdem die europäischen Verordnungen. Allerdings darf dem Verbraucher nicht das günstigere Recht entzogen werden. Kollidieren daher Regelungen muss ein Günstigkeitsvergleich durchgeführt werden. Ergibt dieser, dass eine Regelung für den Verbraucher günstiger ist, so muss diese gelten.

Stillschweigende Rechtswahl

Eine Rechtsordnung kann sich allerdings auch den Umständen ergeben, d.h. stillschweigend vereinbart sein. Nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO muss sich dies jedoch aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben. Indiz für eine solche Vereinbarung könnte beispielsweise die Vereinbarung eines Klageortes sein, welche die internationale gerichtliche Zuständigkeit beeinflussen würde. Besondere Indizwirkung haben aber auch Verweisungen auf das deutsche Reisevertragsrecht, die Verwendungen von AGB, die sich auf die deutsche Rechtsordnung beziehen oder aber auch die angegebene Währung und Vertragssprache. Besonderes bedeutsam ist auch die Klageschrift oder die Erwiderung einer Klage, da sich auch da auf eine bestimmte Rechtsordnung bezogen wird.

Fehlende Rechtswahl

Eine Rechtswahl kann jedoch auch gänzlich fehlen. Dann muss das anzuwendende Recht durch eine objektive Anknüpfung ermittelt werden. Dies muss nach Art. 4 Rom-I-VO geschehen. Dabei liefern die Art. 5 bis 8 Rom-I-VO verschiedene Anknüpfungsregeln für unterschiedliche Vertragstypen. Ist keine der dort aufgeführten Vertragsarten einschlägig, dann ist die Rechtsordnung des Vertragspartner maßgeblich, der die vertragstypische Leistung erbringt. Das gilt allerdings nur soweit sich aus dem gesamten Sachverhalt nicht eine engere Bindung zu einer anderen Rechtsordnung ergibt.

Verbrauchervertrag

Woraus sich das anwendbare Recht bei Verbraucherverträgen bestimmt, ergibt sich aus Art. 6 Rom-I-VO.

Sonderanknüpfung

Art. 6 Rom-I-VO gibt zwar auch bei Verbraucherverträgen eine Rechtswahlmöglichkeit, jedoch ist der Normzweck die Sicherung eines Mindeststandards für den Verbraucher. Dieser befindet sich im Verhältnis zum Reisedienstleister in der Regel in einem Über- und Unterordnungsverhältnis, wobei er die schwächere Partei darstellt. Daher bedarf es für den Verbraucher einer Art Mindestgarantie. Handelt es sich um einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer, ist gem. Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO das Recht des Wohnsitzstaates („dauerhafter Aufenthaltsort“) des Verbrauchers anwendbar. Allerdings gilt das nur, wenn der Unternehmer in dem Staat tätig ist oder seine Tätigkeit zumindest auch auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist. Damit soll der schwächeren Stellung des Verbrauchers Rechnung getragen werden. Selbstverständlich ist auch der Reisende bei einer Pauschalreise als Verbraucher anzusehen. Die in Art. 6 Rom-I-VO reguliert eine Sonderanknüpfung. Diese gilt allerdings nur, wenn es sich auch um Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer handelt. Handelt es sich um eine vertragliche Beziehung zwischen zwei Verbrauchern gilt sie nicht. Die Art des Vertrages war für die Sonderanknüpfung nicht von Bedeutung, zumindest solange kein Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 Rom-I-VO gegeben ist. Der Reisevertrag wird daher grundsätzlich von der Sonderanknüpfung umfasst.

Anwendungsbereich

Für die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO ist Voraussetzung, dass sich der Vertrag in dem Staat, in welchem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, angebahnt hat. Dem Verbraucher soll daher die Möglichkeit eröffnet werden, dass eigentliche Auslandsrechtsgeschäft wie ein inländisches zu behandeln. Allerdings muss der Unternehmer, wie bereits erwähnt, entweder in dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers tätig sein oder zumindest seine Tätigkeit auch auf diesen Staat ausgerichtet haben. Insbesondere bei Online-Buchungen kann das Merkmal der Ausrichtung problematisch sein. Es ist allerdings ausreichend, wenn der Verbraucher von seinem Wohnsitz aus die Reise online buchen kann. Das bedeutet, wenn eine Website auch an dem Wohnsitz des Verbrauchers geschaltet und damit aufrufbar ist, sowie die Website verschiedene Sprachen, wie z.B. Deutsch, Englisch etc., zur Verfügung stellt, kann man von einer Ausrichtung sprechen, welche auf den Vertrieb von Reiseprodukten an diesem Staat gerichtet ist.

Ausnahme für Beförderungsverträge

Für Beförderungsverträge gilt Art. 5 Rom-I-VO. Für Beförderungsverträge gilt ein Ausnahmetatbestand aus Art. 6 Abs. 4 Rom-I-VO. Das bedeutet die Sonderanknüpfung an den Wohnsitz des Verbrauchers gilt nicht für Beförderungsverträge. Allerdings gilt das nur für reine Beförderungsverträge. Ist die Beförderung also Bestandteil der Pauschalreise, gilt die Sonderanknüpfung trotzdem. Dabei handelt es sich um eine Ausnahme von der Ausnahme. Die Rückausnahme für Pauschalreiseverträge hat zur Folge, dass dieselben als Verbraucherverträge anzusehen sind. Zur Pauschalreise gehört auch die Überlassung einer Unterkunft vom Reiseveranstalter, weshalb auch solche Leistungen Bestandteil eines Verbrauchervertrages sein können.

Günstigkeitsvergleich

Natürlich können die Vertragsparteien auch nach Art. 3 Rom-I-VO eine anwendbare Rechtsordnung vereinbaren. Stehen zwei Rechtsordnungen dann durch Sonderanknüpfung und Vereinbarung nebeneinander, muss ein Günstigkeitsvergleich stattfinden. Dazu werden nicht nur die Verbraucherschutzvorschriften des BGB herangezogen, sondern auch die nicht dispositiven Vorschriften des Reisevertragsrechts. Ergibt der Günstigkeitsvergleich, dass die gewählte Rechtsordnung für den Verbraucher vorteilhafter ist, so ist diese anzuwenden. Es ist immer maßgeblich, mit welcher der Rechtsordnungen der Verbraucher am meisten geschützt ist.


Verbraucherschutz für besondere Gebiete

Durch die Rom-I-VO soll aber auch verhindert werden, dass Verbraucherschutzvorschriften unterwandert werden. Deswegen sind nach Art. 23 Rom-I-VO andere europarechtliche Vorschriften weiterhin anwendbar. Einschlägige Verbraucherschutzrichtlinien sind immer vorrangig anzuwenden. Diese sind in Art. 46b Abs. 3 EGBGB niedergelegt. In dieser Auflistung fehlt die Pauschalreiserichtlinie bewusst.

Beförderungsverträge

Wie schon erwähnt, gilt die Sonderanknüpfung nicht für reine Beförderungsverträge. Wenn keine Rechtswahl zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurde, wird auf den gewöhnlichen Aufenthalt der zu befördernden Person abgestellt. Dies ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Rom-I-VO. Europäische Verordnungen stellen nicht auf den Luftbeförderungsvertrag als solchen ab, sondern vielmehr auf den ausführenden Luftfrachtführer. Sie haben mithin nach Art. 23 Abs. 1 Rom-I-VO Anwendungsvorrang.

Dienstleistungsverträge

Die Sonderanknüpfung aus Art. 6 Rom-I-VO gilt auch nicht für Dienstleistungsverträge, wenn die geschuldeten Dienstleistungen dem Verbraucher nicht überwiegend in seinem Wohnsitzstaat erbracht werden müssen. Für einen Dienstleistungsvertrag richtet sich das anwendbare Sachrecht in der Regel nach dem Sitz des Dienstleisters. Typische Vertragsarten, die als Dienstleistungsverträge zu qualifizieren sind, sind insbesondere Berherbergungsverträge in ausländischen Hotels, Anmietung eines Kraftfahrzeuges oder verschiedene Unterrichtskurse wie Ski- oder Surfkurse. Auf den Ort des Vertragsschlusses kommt es nicht an. Ein Dienstleistungsvertrag ist im deutschen Recht als Werkvertrag zu qualifizieren, welcher in §§ 631 ff. BGB geregelt ist.

Unerlaubte Handlungen

Für Altfälle aus unerlaubten Handlungen war für das anwendbare Sachrecht bis zum 11.01.2009 der Ort das schädigenden Ereignisses (Tatort) maßgeblich. Nachdem Die Rom-II-VO in Kraft getreten war, gilt gem. Art. 14 Rom-II-VO der Grundsatz der freien Rechtswahl. Wird keine Rechtsordnung vereinbart, ist der gewöhnliche gemeinsame Aufenthaltsort von Haftendem und Geschädigten maßgeblich. Handelt es sich um Altfälle zwischen deutschem Reiseveranstalter und deutschem Reisenden, dann ist gilt das deutsche Recht. Der Ort des schädigenden Ereignisses ist dann nicht mehr maßgeblich. Haben die beiden nicht denselben gewöhnlichen Aufenthaltsort, dann ist subsidiär auf den Ort des schädigenden Ereignisses zurückzugreifen. Trotzdem gilt gem. Art. 4 Abs. 3 Rom-II-VO, dass dann eine andere Rechtsordnung anwendbar sein kann, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass die unerlaubte Handlung mit einem anderen Staat in enger Verbindung steht und eine Anwendung seiner Rechtsordnung sinnvoller erscheint. Eine solche engere Verbindung könnte sich beispielsweise aus einem bereits bestehenden Vertrag an diesem Ort ergeben.

Rechtsprechung und Quellen

Literarische Quellen

  • Tonner, Klaus: Der Luftbeförderungsvertrag zwischen europäischer und globaler Regulierung, NJW 2006, 1854.

Rechtsprechung

Gericht, Datum Aktenzeichen Zusammenfassung (siehe Reiserecht-Wiki)
EuGH, Urteil vom 14.11.2013 C-478/12
  • Im zugrunde liegenden Fall buchte ein österreichischer Kunde eine Reise bei einem österreichischen Reiseveranstalter über die Website eines deutschen Reisevermittlers. Am Urlaubsort angekommen stellt der Kläger fest, dass ihm das falsche Hotel zugeteilt wurde. Um in dem ursprünglich von ihm gebuchten Hotel untergebracht zu werden, ist er gezwungen einen Aufpreis von 1000 Euro zu zahlen. Es ist nun fraglich, wo sich der Gerichtsstand für das Verfahren des Kunden gegen den deutschen Reisvermittler befindet.
  • Die Antwort findet der Europäische Gerichtshof in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Diese Verordnung regelt die Zuständigkeiten der Gerichte innerhalb der europäischen Union. Mit Beschluss des Europäischen Gerichtshofs ist der Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass sich der Gerichtsstand am Wohnort des Kunden befindet.
EuGH, Urteil vom 10.01.2006 C-344/04
  • Die IATA (International Air Transport Association), ein Verband von Fluggesellschaften, die 98 % der internationalen Fluggäste befördern, und die ELFAA (European Low Fares Airline Association) fochten die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen an.
  • Zunächst beschäftigt sich der EuGH unteranderem mit der Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Montrealer Übereinkommen. Die Verordnung regelt Unterstützungs-und Betreuungsleistungen für den Fall einer Flugannullierung bzw. Flugverspätung. Das Übereinkommen regelt unter welchen Voraussetzungen die Fluggäste im Falle einer Verspätung Schadensersatz verlangen können. Er stellte fest, dass das Übereinkommen für das Gemeinschaftsrecht verbindlich sei, die Verordnung und das Übereinkommen jedoch unterschiedliche Maßnahmen zur Wiedergutmachung regelt und damit keine Unvereinbarkeit der VO mit dem Montrealer Übereinkommen festgestellt werden kann.
  • Des Weiteren ist auch kein Verstoß gegen die Rechtssicherheit oder Begründungspflicht ersichtlich. Auch ist der angestrebte Zweck dieser Verordnung verhältnismäßig mit den dort genannten Maßnahmen, da die VO auch eine Exkulpationsmöglichkeit bietet. Die angefochtene VO ist damit als gültig zu betrachten.