"No-Shows"- Flüge nicht antreten

Aus PASSAGIERRECHTE
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Nicht selten kommt es bei Fluggästen zu der Frage, wie sich die Rechtslage verhält, wenn eine (Flug-)Reise bereits geplant und bezahlt ist und sie dann nicht durch den Fluggast angetreten werden kann? Betrachten wir dazu näher das Urteil des BGH, Urt. v. 20.3.2018, Az.: X ZR 25/17 ( http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=a12e2c078ac8a0d98ffc52df61c8b517&nr=83903&pos=0&anz=1). Früher waren die Erfolgschancen einen Großteil des Beförderungspreises zurückzuerhalten groß, falls es den Fluggästen auf Grund von persönlichen Gründen nicht möglich war einen Flug anzutreten. Seit dieser Entscheidung des BGH könnte sich die Situation anders verhalten.

Einleitung

Vor dem Jahr 2014 hatten Gerichte nur selten über die Rückforderung von Ticketentgelten nach einer nach § 648 S. 1 BGB ausgesprochenen Kündigung des Luftbeförderungsvertrages zu entscheiden. So ist es fast nie zu Rechtsstreiten über die Rechtsfolgen der Kündigung des Beförderungsvertrages gekommen. Da es kaum Rechtsstreitigkeiten auf diesem Gebiet gab, war dieses Thema in der Literatur auch kaum erwähnt. Dies lässt sich bereits anhand des Handbuches des Reisevertrags-, Reiseversicherungs- und Individualreiserechts von Ernst Führich veranschaulichen. Die 1. Aufl. (1990) des Handbuches enthielt nur drei Sätze zum Thema der Kündigung eines Luftbeförderungsvertrages. Führich kam damals zwar bereits zu dem Ergebnis, dass eine Kündigung des Beförderungsvertrages ohne Angabe von Gründen grundsätzlich möglich ist. Schließlich konnten Flugtickets durch die Fluggesellschaft kostenlos storniert werden, da Flüge grundsätzlich überbucht werden. Vielmehr hat Führich in seinem Handbuch zu diesem Thema nicht angeführt, weil dieses Thema damals nicht sehr relevant war. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Führich bereits zum damaligen Zeitpunkt bewusst war, dass Überbuchungen von Flugzeugen an der Tagesordnung stehen. Danach hat sich in der Öffentlichkeit die Meinung gebildet, dass der Fluggast nach einer als „Stornierung des Flugtickets“ bezeichneten Kündigung des Beförderungsvertrages nichts von seinem im Voraus gezahlten Ticketentgelt zurückerhält. Grund dafür war der Gedanke, dass die Fluggesellschaften in ihre Tarifbestimmungen Klauseln aufgenommen, die die Rückerstattungen nach einer Kündigung des Beförderungsvertrages einschränken. Es galt, dass nur die Fluggäste, die ein sog. vollflexibles Flugticket besaßen, d.h. die teuerste Kategorie ausgewählt haben, nach der Kündigung von einer Rückerstattung eines großen Teils des Ticketpreises ausgehen konnten.


Es gibt oftmals eine erhebliche Anzahl von Fluggästen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, einen gebuchten Flug anzutreten und sind somit gezwungen den mit einem Luftfahrtunternehmen geschlossenen Beförderungsvertrag vor Antritt des Fluges zu kündigen. In den meisten Fällen sind die Gründe ein persönliches Ereignis wie Krankheit, Trennung vom Reisepartner oder aber auch Angst vor der Reise in das Zielgebiet. Da die Situation sich so verhält, dass von den Fluggästen mit Abschluss des Beförderungsvertrages die volle Vergütung für das Flugticket durch das Luftfahrtunternehmen verlangt wird (BGH, Urt. v. 16.2.2016, Az.: X ZR 97/14; X ZR 98/14), ist der Fluggast nach der von ihm ausgesprochenen Kündigung des Beförderungsvertrages dazu gezwungen, dass die bereits gezahlten Beträge von dem Luftfahrtunternehmen zurückzuverlangen. Man kann davon ausgehen, dass freiwillige Zahlungen in der Regel (mit gewissen Ausnahmen) eher nicht erfolgen. Oftmals behaupten die Luftfahrtunternehmen dennoch, dass ein Großteil der Flugtickets „nicht stornierbar“, ist. Damit versuchen sie den Einbehalt des gesamten Entgelts nach Kündigung des Beförderungsvertrages zu erwirken. Nur bei den ganz teuren vollflexiblen Tarifen ist eine Rückerstattung eines Teils oder des gesamten Ticketentgelts realisierbar.


Wie bereits weiter oben erwähnt, mussten sich die Gerichte bis zum Jahr 2013 kaum mit Klagen von Fluggästen, die auf Rückerstattung von Ticketentgelten gerichtet waren, beschäftigen. Durch das AG Frankfurt (AG Frankfurt/M., Urt. v. 18.11.2013, Az.: 29 C 2391/13 (44)) wurde eine Fluggesellschaft zur Rückzahlung von Steuern und Gebühren in voller Höhe zzgl. 95 % des verbleibenden Ticketentgelts verurteilt. Grund dafür war eine „Stornierung“ des Tickets durch den Fluggast und die Nichtvornahme einer Abrechnung durch das Luftfahrtunternehmen, die den Anforderungen des bis zum 31.12.2017 geltenden § 649 S. 2 BGB 4 (nachfolgend: § 649 BGB a.F.) entspricht, nicht vorgenommen hat. Im Jahr 2013 kam es durch das AG Frankfurt/M. zu einem weiteren Verfahren gegen eine italienische Fluggesellschaft bezüglich der Verpflichtung zur Rückzahlung des Ticketentgelts. In diesem Fall wurde die Klage jedoch durch das AG Frankfurt/M. unter Berufung auf die fehlende internationale Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Dagegen wurde eine Berufung eingelegt, welche sowohl gegen die Zulässigkeit, als auch gegen die Begründetheit der Klage Erfolg hatte. Das LG Frankfurt/M. (LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.6.2016, Az.: 2-24 S 152/13) hat ein Luftfahrtunternehmen dazu verurteilt, die Steuern und Gebühren und das gesamte verbleibende Ticketentgelt an den Fluggast zurückzuzahlen. Grund dafür war unter anderem, dass weder vorprozessual noch im Prozess etwas zu den ersparten Aufwendungen bzw. „dem Erwerb aus anderweitem Einsatz seiner Arbeitskraft“ (nachfolgend: Erlösvorteile) vorgetragen werden konnte. Danach kam es zu sehr vielen Klagen gegen Fluggesellschaften, die auf eine Rückzahlung von Ticketentgelten nach einem gekündigten Beförderungsvertrag gerichtet waren.

Inhalt der BGH Entscheidung BGH, Urt. v. 20.3.2018, Az.: X ZR 25/17

Der X. Zivilsenat des BGH musste danach bezüglich mehrerer Fragen, die sich nach einer Kündigung eines Luftbeförderungsvertrages stellten, eine Entscheidung treffen.

Sachverhalt

Die Fluggäste schlossen über die Webseite der Beklagten mit ihr einen Beförderungsvertrag ab, welcher sie dazu verpflichtete die Fluggäste von Hamburg über Frankfurt/M. nach Miami und zurück ab Los Angeles zu befördern. Der Beförderungsvertrag sah für die Fluggäste eine Berechtigung zur Nutzung der Economy Class auf den innerdeutschen Strecken und zur Nutzung der Premium Economy Class auf den Fernstrecken vor. In den Beförderungsbedingungen der Beklagten war die folgende Regelung enthalten: „Die Stornierung der Tickets ist nicht möglich. Die nicht verbrauchten Steuern und Gebühren sind erstattbar. Der internationale/nationale Zuschlag ist nicht erstattbar.“ Diese Beförderungsbedingungen wurden unstreitig in das Vertragsverhältnis einbezogenen. Das Luftbeförderungsentgelt i.H.v. 2.766,32 € war durch die Fluggäste bereits bei Vertragsschluss zu entrichten. Die Fluggäste kündigten jedoch ca. zwei Monate vor dem geplanten Flug den Beförderungsvertrag mit der Beklagten. Daraufhin erstattete die Beklagte den Fluggästen jeweils 133,56 €. Die Fluggäste wollten mit ihrer Klage jedoch die weitere Zahlung i.H.v. jeweils 1.249,60 € erwirken. Diese Klage wurde jedoch durch das AG Köln, Urt. v. 7.1.2016, Az.: 129 C 181/15 Abgelehnt. Das LG Köln, Urt. v. 7.2.2017, Az.: 11 S 15/16 https://reise-recht-wiki.de/rueckerstattung-der-gesparten-steuer-nach-flugstornierung-urteil-az-11-s-15-16-lg-koeln.html hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Das Berufungsgericht hat entschieden, dass die Vorschrift des § 649 BGB a.F. durch den Individualvertrag zwischen den Parteien abbedungen wurde, denn die Kläger hätten bei der Buchung die Wahl zwischen unterschiedlichen Buchungsklassen, welche Abgesehen vom Reisepreis auch unterschiedliche Regelungen zur Stornierbarkeit enthielten.


Der BGH hat sich der Entscheidung des LG Köln angeschlossen, obwohl er seine Entscheidung anders begründet hat. Es wird nicht die Auffassung vertreten, dass durch eine Regelung im Beförderungsvertrag, die „Stornierbarkeit“ durch individuelle Vereinbarung ausgeschlossen werden kann. Bei dieser Argumentation schloss sich der BGH der bisherigen Rechtsprechung an und bestätigte damit, dass die alleinige Eröffnung von Wahlmöglichkeiten zwischen mehreren vorformulierten Vertragsbedingungen, die vom Verwender der Klausel gewählte Alternative noch lange nicht zur Individualabrede macht (BGH, Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 19/12). Der BGH vertritt die Ansicht, dass durch eine derartige Gestaltung des Buchungsvorganges auf der Internetseite der Beklagten eine Wahlmöglichkeit für den Fluggast nicht eröffnet sei. Zu beachten ist weiterhin, dass die Beklagte im vorliegenden Buchungsvorgang den Fluggästen, welche einen Vertrag zur Beförderung in der Beförderungsklasse „Premium Economy“ geschlossen haben, gar keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich verschiedener Tarifalternativen unter Einbeziehung eines stornierbaren und erstattbaren Tarifs eingeräumt hat. Dabei gab es die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Tarifen zu wählen sogar in den Tarifen für die Economy Class. Aus diesem Grund hatte die Beklagte nicht das Recht von dem in den Beförderungsbedingungen vorgesehenen Ausschluss des Kündigungsrechts Gebrauch zu machen.

Der BGH hat die Klausel der Beklagten mit der Regelung des Ausschlusses der „Stornierung“ als allgemeine Geschäftsbedingung eingestuft. Jedoch muss angemerkt werden, dass diese der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB standhält. Der BGH nimmt weiter an, dass sich auf den Luftbeförderungsvertrag durchaus die Vorschriften des Werkvertrags anwenden lassen. Dies lässt sich auch der bisherigen Rechtsprechung des BGH entnehmen (BGH, Urt. v. 16.2.2016 – X ZR 97/14; X ZR 98/14, 186; X ZR 5/15). Wendet man diese Vorschriften an, so hätte der Fluggast jederzeit die Möglichkeit den Vertrag nach § 649 BGB a.F. zu kündigen. Jedoch muss beachtet werden, dass das Kündigungsrecht nach § 649 BGB a.F. für das gesetzliche Leitbild eines Vertrages über die Beförderung mit einem Massenverkehrsmittel nicht ausschlaggebend ist. Begründet wird dies damit, dass der Personenbeförderungsvertrag einige Besonderheiten beinhaltet, die bei der Bestimmung des gesetzlichen Leitbildes beachtet werden müssen (BGH, Urt. v. 16.2.2016 – X ZR 97/14; X ZR 98/14; X ZR 5/15). Schließlich geht es bei § 649 BGB a.F. vor allem um die Sicherstellung dessen, dass dem Unternehmer durch die Nichtvollendung oder Nichtabnahme des in Auftrag gegebenen Werks keine Nachteile entstehen, aber auch gleichzeitig keine Vorteile. In der Situation von nicht ausgeführten Leistungen steht dem Unternehmer zumindest die Kompensation im Rahmen des entgangenen Gewinns zu. Bei dieser Vorschrift steht jedoch nur das individuelle Werk im Mittelpunkt. Es geht ausschließlich um den Fall, dass der Unternehmer für den Besteller ein Werk fertigt und die Fertigung des Werkes dann eingestellt wird oder es nach einer Kündigung nicht mehr auf Kosten des Bestellers fortgesetzt werden muss bzw. darf. Auch bei dem Personenbeförderungsvertrag mit einem Massenverkehrsmittel, verhält es sich ähnlich wie bei der Lieferung herzustellender oder zu erzeugender vertretbarer beweglicher Sachen. Dort gilt auch die Unanwendbarkeit des § 649 BGB a.F.. Schließlich werden durch das Beförderungsunternehmen gegenüber den Fluggästen standardisierte Beförderungsleistungen angeboten. Solche Beförderungsleistungen werden auf festgelegten Routen gegenüber einer Vielzahl von beförderten Fluggästen erbracht und der Allgemeinheit grundsätzlich zu festgelegten Preisen angeboten. Die mit der Vorbereitung und Durchführung eines Gesamtbeförderungsvorganges mit einem Luftverkehrsmittel dem Beförderer entstehenden Kosten, kommen grundsätzlich unabhängig vom Auslastungsgrad der Kapazität des Beförderungsmittels zustande. Diese Kosten stellen Fixkosten des Gesamtbeförderungsvorgangs dar. Sie können auch dann nicht vermieden werden, wenn einzelne Beförderungsverträge durch Fluggäste gekündigt werden. Daraus folgt, dass es kaum noch zu nach § 649 BGB a.F. anspruchsmindernd ersparten Aufwendungen kommt. Denn diese sind auch ohne Beförderungsverpflichtung nur im geringen Umfang vorhanden. Die Situation der „anderweitigen Verwendung der Arbeitskraft“ des Beförderungsunternehmens kann nur angenommen werden, wenn das Beförderungsunternehmen die Beförderungsleistung, die er gegenüber dem einzelnen Passagier nach Kündigung des Vertrages nicht mehr zu erbringen hat, gegenüber einem anderen Passagier erbringt. Auch die Reduktion des Beförderungsentgelts hängt maßgeblich von der Kapazitätsauslastung ab. Damit kommt es jedoch bei der Anwendung des § 649 BGB a.F. zu einem Spannungsverhältnis zwischen der einerseits für den Personenbeförderungsvertrag typischen Bildung von an die Allgemeinheit adressierten Beförderungsleistung und der andererseits zugänglichen, die von den individuellen Verhältnissen des einzelnen Passagiers unabhängigen Preisen für die Beförderungsleistung.

Zwischenergebnis

Durch Art. 22 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1008/2008 wurde den Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft, durch den Gesetzgeber die Befugnis erteilt, ihre Flugpreise frei zu bestimmen. Der Begriff des „Flugpreises“ umfasst nicht nur den Preis selbst, sondern auch die Bedingungen, unter denen diese Preise gelten sollen. Davon kommt das Recht der Luftverkehrsunternehmen, Tarife ohne freies Kündigungsrecht des Fluggastes anbieten zu dürfen. Aus diesem Grund kommt es nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Fluggastes, wenn für einen Flugtarif durch die Beförderungsbedingungen das freie Kündigungsrecht ausgeschlossen wird. Für die Luftverkehrsunternehmen existiert ein schützenswertes Interesse, das Kündigungsrecht der Fluggäste auszuschließen, da die ihnen entstehenden Kosten größtenteils Fixkosten des Gesamtbeförderungsvorganges sind und es somit unmöglich ist, den durch einen einzelnen Fluggast verlangten Flugpreis ohne Berücksichtigung dieser Fixkosten zu berechnen. Für das Luftfahrtunternehmen bedarf es für die Erzielung einer möglichst hohen Auslastung, einer Mischung von kündbaren und nicht kündbaren Tarifen. Die Tarife, die den Fluggast zu einer Kündigung berechtigen, bringen dem Luftfahrtunternehmen zwar höhere Einnahmen, aber dennoch sind diese nicht planbar im Hinblick auf die Auslastung des jeweiligen Fluges. Die preiswerten und nicht kündbaren Tarife sorgen bei der Fluggesellschaft hingegen für Planungssicherheit und machen die zu erwartende Kapazitätsauslastung besser berechenbar. Gerade das ist viel wichtiger, denn eine ineffiziente Kapazitätsnutzung schafft insgesamt höhere Flugpreise oder im schlimmsten Fall sogar den Marktaustritt eines Luftverkehrsunternehmens.

Der Ausschluss des Kündigungsrechts hat weiterhin den Vorteil einer vereinfachten Vertragsabwicklung. Schließlich muss beachtet werden, dass die Ermittlung eines sich auf den Beförderungspreis anrechenbaren anderweitigen Erwerbs vieler aufwendig und mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als der Fall, wenn der Flug bei seiner Durchführung nicht ausgebucht ist und die Anzahl von Fluggästen, welche den Beförderungsvertrag gekündigt haben, höher wäre als die Anzahl der Fluggäste, welche ohne eine Kündigung nicht hätten befördert werden können. Man muss jedoch beachten, dass die Möglichkeit, den Luftbeförderungsvertrag zu kündigen für den des Fluggast keinen praktischen Wert besitzt, wenn diese nicht mit einer Rückerstattung wesentlicher Teile des Flugpreises verbunden ist. Unter Berücksichtigung dieser Argumente, kommt es laut dem BGH bei einem Ausschluss des Kündigungsrechts nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Fluggastes. Ein solches Urteil kann jedoch kaum überzeugen. Grund für diese Ausführungen ist wohl jedoch, dass dem Gericht die für die Beurteilung notwendigen Besonderheiten des Luftverkehrs nicht vorgetragen wurden.

Rechtsnatur des Luftbeförderungsvertrages

Vergleich des Luftbeförderungsvertrages und des Werkvertrages

In dem Urteil vom 20.3.2018 kommt es zu einer Forstsetzung der vom BGH bisherig geführten Rechtsprechung zur Rechtsnatur des Luftbeförderungsvertrages und auch zur eingeschränkten Anwendbarkeit der Vorschriften des Werkvertrags. Bei der Beförderung einer Person ist nach deutschem Recht keine bloße Dienstleistung anzunehmen, sondern die Erstellung eines unkörperlichen Werkes als Arbeitserfolg. Aus diesem Grund ist die entgeltliche Luftbeförderung als Werkvertrag i.S.d. §§ 631 ff. BGB aufzufassen. Eine solche Ansicht wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg vertreten. Dieser Auffassung folgte im Jahr 1969 auch der BGH (BGH, Urt. v. 24.2.1969, Az.: VI ZR 48/67). Auch in anderen Entscheidungen wurde der Luftbeförderungsvertrag immer ohne Einschränkungen als Werkvertrag eingestuft (BGH, Urt. v. 21.12.1973, Az.: IV ZR 158/72 ; 21.3.1974, Az.: VII ZR 87/73 ; BGH, Urt. v. 16.2.2016, Az.: X ZR 97/14; X ZR 98/14; Az.: X ZR 5/15). Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der BGH in seinen am 16.2.2016 verkündeten Entscheidungen dennoch einige Einschränkungen bei der Anwendbarkeit aller Vorschriften des Werkvertragsrechts angenommen hat. Begründet wird dies damit, dass die Vorschriften des Werkvertragsrechts mit den vertragstypischen Rechten und Pflichten der Parteien eines Luftbeförderungsvertrages nicht immer vereinbar sind. In diesen Entscheidungen ging es unter anderem um die Vorauszahlungspflicht der Fluggäste nach geschlossenem Beförderungsvertrag. Im Werkvertragsrecht herrscht keine Vorausleistungspflicht des Bestellers, sondern die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers. Damit geht die Praxis der Fluggesellschaften, bei Vertragsschluss das gesamte Beförderungsentgelt bei dem Fluggast zu erheben, nicht konform. Als allgemeines werkvertragliches Prinzip ist bekannt, dass der Werklohn erst bei (Teil-)Abnahme oder Vollendung des Werkes durch den Werkunternehmer zu leisten ist (§§ 641 Abs. 1 S. 1, 646 BGB ). Würde man dieses Prinzip auch auf den Luftbeförderungsvertrag anwenden, so hätte dies zur Folge, dass der Flugpreis erst bei Beendigung der Luftbeförderung durch den Fluggast zu entrichten ist und das Luftfahrtunternehmen das Beförderungsentgelt nicht bereits bei Vertragsschluss verlangen darf. Der BGH geht in seinen Entscheidungen jedoch davon aus, dass einfach den Besonderheiten des Personenbeförderungsvertrages im Fall der Vorauszahlung bei der Anwendbarkeit der Vorschriften des Werkvertragsrechts Rechnung getragen werden müsse. Der BGH kam somit zum Entschluss, dass eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen über die Vorauszahlung des Beförderungspreises durch den Fluggast, mit dem wesentlichen Grundgedanken des Personenbeförderungsrechts vereinbar ist. Im Urteil vom 20.3.2018 bestätigte der BGH, dass es zu einer eingeschränkten Anwendbarkeit einiger Vorschriften des Werkvertrags auf den Personenbeförderungsvertrag kommen muss.

Flugzeug als Massenverkehrsmittel

Weiterhin stellte der BGH klar, dass das Kündigungsrecht nach § 649 BGB a.F. nicht als Leitbild eines Vertrages über die Beförderung mit einem Massenverkehrsmittel maßgeblich ist. Fraglich könnte jedoch die Annahme des BGH sein, dass es sich bei der Beförderung mit einem Flugzeug um ein Massenverkehrsmittel handelt. Dieser Ansicht sollte nicht gefolgt werden, wenn man den Vergleich zur Personenbeförderung mit dem Schienen- bzw. Busverkehr zieht. Schon allein bei dem Vergleich der Beförderungszahlen kommt es zu erheblichen Differenzen. Veranschaulichen lässt es sich, wenn man beachtet, dass ein Unternehmen wie die Deutsche Lufthansa AG im Jahr 2017 etwa 66 Millionen Passagiere weltweit befördert hat und die Passagierzahlen bei der Deutschen Bahn AG (einschließlich Busverkehr) im europaweiten Verkehr gerade einmal bei etwa 4,4 Milliarden Passagieren lagen. Ein weiteres Argument gegen die Annahme des Massenverkehrsmittels ist, dass den Fluggesellschaften jeder einzelne Name der zu befördernden Personen bekannt ist und grundsätzlich auch die Identität der Fluggäste vor Antritt der Beförderung überprüft wird. Man muss also zu dem Entschluss kommen, dass die Luftbeförderung nicht als Massenverkehrsmittel eingestuft werden kann. Damit ein Massenverkehrsmittel angenommen werden kann, ist es notwendig, dass der Großteil der zu befördernden Personen den Beförderungsvertrag anonym schließt und es dem Beförderer grundsätzlich nicht darauf ankommt, welche Personen die Beförderungsleistungen in Anspruch nehmen. Zusätzlich ist gegen die Annahme eines Massenverkehrsmittel einzuwenden, dass den Fluggesellschaften die individuellen Wünsche der Passagiere bekannt sind. So zum Beispiel, nämlich die Vorlieben der Fluggäste bei der Verpflegung (bei Fernstrecken) oder ob die Beförderung der Fluggäste mit oder ohne Gepäck zu erfolgen hat. Das Luftfahrtunternehmen hat weiterhin persönliche Angaben des Fluggastes wie E-Mail-Adresse, Alter und Telefonnummer des Fluggastes.

Beispiel der Deutschen Bahn

Das ist zum Beispiel bei der Bahn nicht der Fall. Der Bahn liegensolche Daten ihrer Kunden nicht vor. Das Gericht hat Recht mit seiner Aussage, dass der Beförderungsunternehmer standardisierte Beförderungsleistungen für eine Vielzahl von zu befördernden Personen anbietet. Dabei werden die Routen und Preise von der Bahn selbst festgelegt. Der Aussage, dass die Kosten, welche dem Beförderungsunternehmer durch die Vorbereitung und Durchführung des gesamten Beförderungsvorgangs entstehen, größtenteils unabhängig vom Auslastungsgrad der Kapazität des Beförderungsmittels sind, kann allerdings nicht zugestimmt werden. Eine Sache wurde jedoch nicht angesprochen und zwar, dass das Gewicht eines Flugzeuges ausschlaggebend für die Kosten der Durchführung eines Fluges ist. Bereits eine1 t Gewicht, was ungefähr zehn Fluggästen zusammen mit deren Gepäck entspricht und das Catering führen auf einer Langstrecke zu erheblichen Beförderungskosten. Bereits wenige Tonnen geringeres Gewicht können zu einer enormen Einsparung an Kerosin führen. Diese Tatsache sollte nicht unberücksichtigt bleiben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies nicht Gegenstand des Vortrages vor dem AG war und aus diesem Grund der BGH dies in seine Erwägungen nicht einfließen lassen konnte. Weiterhin kann dem BGH dahingehend nicht zugestimmt werden, dass sich die Kosten des Beförderungsvorgangs nicht vermeiden lassen, wenn einzelne Beförderungsverträge gekündigt werden. Schließlich wurde die Möglichkeit der „anderweitigen Verwendung der Arbeitskraft“ vom BGH im Ergebnis verneint.

Individualvertraglicher Ausschluss des Kündigungsrechts

Das Gericht musste entscheiden, ob der Grundsatz, dass das Luftfahrtunternehmen, nur Steuern und Gebühren zurückzahlen muss, auf den Allgemeinen Geschäftsbedingungen basiert oder das Ergebnis des individuellen Aushandelns ist. Gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB können keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegeben sein, wenn die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt wurden. Ein Aushandeln i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB kann immer dann angenommen werden, wenn die Klausel bezüglich des „nicht erstattbaren Tarifs“ von der Fluggesellschaft nicht einseitig festgelegt wurde. Aus diesem Grund muss die Gestaltungsbeteiligung des Fluggastes hinsichtlich der Klausel beachtete werden (AG Köln, Urt. v. 19.9.2016, Az.: 142 C 222/16). Ein Aushandeln kann nur dann angenommen werden, wenn der Verwender der Klausel deren gesetzesabweichenden Inhalt ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner eigenen Interessen gibt mit der Chance, auf die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen Einfluss zu nehmen (BGH, Urt. v. 3.11.1999, Az.: VIII ZR 269/98). Das Stellen von Vertragsbedingungen kann auch dann nicht angenommen werden, wenn vorformulierte Vertragsbedingungen in einen Vertrag aufgenommen werden, die auf einer freien Entscheidung desjenigen beruht, der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird (BGH, Urt. v. 20.1.2016 – VIII ZR 26/15). Der Rechtsprechung des BGH zu Folge ist dafür jedoch Voraussetzung, dass die Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und tatsächlich die Gelegenheit besteht, eigene Textvorschläge einzubringen mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen. Das LG Köln (LG Köln, Urt. v. 30.8.2016, Az.: 11 S 497/15) hat diese Rechtsfrage anders entschieden. Laut dem LG Köln ist die von den Fluggästen gebuchte Tarifoption – Ticket ohne Stornierungsmöglichkeit – nicht Teil des AGB-Recht. Damit kann also auch kein Verstoß gegen die §§ 307 ff. BGB vorliegen. Dabei hat sich das LG Köln sich auf die Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 6.12.2002, Az.: V ZR 220/02) zur Laufzeitklausel bei einem Gestattungsvertrag über eine Breitbandkabelanlage bezogen. Richtigerweise geht der BGH davon aus, dass den Klägern entgegen der Annahme des Berufungsgerichts eine Wahlmöglichkeit nicht zugestanden hat. Somit ist die Klausel in den Tarifbestimmungen der Beklagten, wonach „ die Stornierung der Tickets“ nicht möglich ist, als allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 BGB einzustufen.

Ergebnis der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB

Laut dem BGH hält die Klausel der Beförderungsbedingungen der Beklagten der Inhaltskontrolle halt. Begründet wird dies damit, dass der Ausschluss des Kündigungsrechts keine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben der Fluggäste darstellt. Weiterhin wurde die Frage behandelt, ob der Fluggast ohne eine solche Klausel in den Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft, nach der eine Rückerstattung des Ticketpreises nach ausgesprochener Kündigung nicht erfolgen wird, eine höhere Rückvergütung fordern kann. Es ist jedoch in den meisten Fällen davon auszugehen, dass es nicht zu einer nennenswerten Rückzahlung kommen wird, da sowohl ersparte Aufwendungen als auch anderweitiger Erwerb höchstens in der zu vernachlässigenden Höhe erzielt werden können. Der Ausschluss des Kündigungsrechts soll weiterhin einer vereinfachten Vertragsabwicklung dienen. Ein solcher Ansatz ist jedoch nicht zu unterstützen.

AGB Prüfung nach §§ 308, 309 BGB

Verstößt eine AGB-Klausel gegen die §§ 308 Nr. 7, 309 Nr. 5 BGB, so ist sie als unwirksam anzusehen, wenn es zu einer vorzeitigen Beendigung eines Werkvertrages kommt, jedoch die volle Vergütungspflicht, d.h. der volle Flugpreis, bestehen bleibt. Durch die in § 649 BGB a.F. geforderte Anrechnung der ersparten Aufwendungen und des anderweitig erzielten Erlöses soll es zu einem gerechten Ausgleich kommen, so dass es für den Unternehmer durch die Kündigung weder zu einem Nachteil kommen soll aber auch nicht zu einem Vorteil durch den „Weiterverkauf des Flugtickets“ kommen. Aus diesem Grund geht, dass LG Frankfurt/M. (LG Frankfurt/M., Urt. v. 2.3.2016, Az.: 2-24 S 178/15 https://reise-recht-wiki.de/wirksamkeit-des-ausschlusses-des-herausgabeanspruchs-auf-ersparte-aufwendungen-des-luftfrachtfuehrers-urteil-az-2-24-s-178-15-lg-frankfurt.html) davon aus, dass solche Allgemeinen Tarifbestimmungen, die dem Fluggast die Möglichkeit nehmen, ersparte Aufwendungen und den anderweitig erzielten Erlös herauszuverlangen unwirksam sind. Selbst wenn dem Fluggast durch die Tarifbestimmungen ausdrücklich das Recht zusteht, den Eintritt eines geringeren oder keines Schadens nachzuweisen, kommt es durch diese Klausel aber nicht dazu, dass eine Fluggesellschaft den reinen Beförderungspreis, d.h. das Ticketentgelt abzgl. der Steuern und Gebühren, welche uneingeschränkt zurückerstattet werden müssen, behalten kann (LG Frankfurt/M., Urt. v. 6.6.2014, Az.: 2-24 S 152/13, LG Düsseldorf, Beschl. v. 13.2.2017, Az.: 22 S 307/16). Sogar im Gegenteil muss ein Luftfahrtunternehmen das Beförderungsentgelt, welches das Luftfahrtunternehmen vom kündigenden Fluggast erhält, an den Fluggast zurückerstatten, soweit es dem Luftfahrtunternehmen möglich war, den durch die Kündigung des Fluggastes freigewordenen Sitzplatz durch den Abschluss eines weiteren Beförderungsvertrages mit einem neuen Fluggast verkaufen zu können. Diese Auffassung verdient Zustimmung.

Inhaltskontrolle nach § 309 BGB

Es wird durchaus beachtete, dass § 308 Nr. 7a BGB (unangemessen hohe Vergütung für erbrachte Leistungen) und § 309 Nr. 5b BGB (Nachweis des geringeren Schadens) auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar angewendet werden können, denn durch § 649 S. 2 BGB a.F. wird der trotz der Kündigung verbleibende Vergütungsanspruch des Werkunternehmers geregelt und nicht eine Pflichtverletzung und ein daraus resultierender Schadensersatzanspruch. Jedoch kann der Regelungsinhalt von §§ 308 Nr. 7a, 309 Nr. 5b BGB mit der Kündigung des Beförderungsvertrages verglichen werden. Eine Rechtfertigung, eine Pauschalierung des Schadensersatzes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur unter den Voraussetzungen des § 309 Nr. 5b BGB zuzulassen, während die Pauschalierung des Vergütungsanspruchs nach ausgesprochener Kündigung des Werkvertrages uneingeschränkt möglich sein soll, ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 5.5.2011, Az.: VII ZR 161/10) zeigt, dass der Prüfungsmaßstab für die Wirksamkeit einer vom Unternehmer gestellten Klausel, bei der die Höhe der Vergütung bei vorzeitiger Vertragsbeendigung mit einer Pauschale geregelt wird, § 308 Nr. 7a BGB bereits entsprechend angewendet wird. Es soll weiterhin zu der Anwendung von § 309 Nr. 5b BGB aufgrund der vergleichbaren Interessenlage kommen. Dem Besteller muss durch eine Klausel die Gestattung des Nachweises gestattet werden, dass dem Unternehmer die nach § 649 a.F. BGB zustehende Vergütung viel geringer ist als die Pauschale. So eine Klausel, welche den Nachweis einer geringeren als die volle Vergütung zulässt, gibt es in den Tarifbestimmungen der Beklagten nicht. Somit liegt eine unangemessene Benachteiligung des Klauselgegners vor. Schlussendlich ist die Beantwortung der Frage, ob die Höhe der pauschalierten Vergütung dem Prüfungsmaßstab des § 308 Nr. 7a BGB standhält, nicht mehr relevant. Somit wäre eine pauschalierte Vergütung der Höhe nach angemessen, wenn sie nach dem Gesetz in dieser Höhe normalerweise geschuldet wäre. Weiterhin ist zu beachten, dass eine Klausel einer Fluggesellschaft, bei der eine Kündigung des Beförderungsvertrages vor Antritt des Fluges 100 % des vereinbarten Beförderungsentgelts ohne Zulassung des Nachweises, dass beispielsweise das Flugzeug voll ausgelastet war, zusätzlich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 i.V.m. 1 lit. d), lit. f) des Anhangs der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen darstellt. Kommt es zu der Kündigung eines Personenbeförderungsvertrages, so kann es nicht ohne weiteres dazu kommen, dass dem Fluggast keine oder nur eine geringe Rückzahlung zusteht. Die Erfahrungen, welche kündigende Fluggäste in den vergangenen Jahren gesammelt haben, beweisen jedoch das Gegenteil. Teilweise kam es durch die jeweiligen Fluggesellschaften zu der Rückzahlung des Ticketentgelts ohne weitere Begründung, teilweise hat sich in Prozessen jedoch ergeben, dass es in dem Flugzeug, das für die Beförderung des kündigenden Passagiers vorgesehen war, keinen freien Sitzplatz mehr gab.

Rechtsfolgen der Kündigung des Beförderungsvertrages

Ansprüche des Unternehmers

Nach § 649 S. 2 BGB a.F. steht dem Unternehmer nach der Kündigung des Werkvertrages durch den Besteller die festgelegte Vergütung unter Berechnung der ersparten Aufwendungen und der Erlösvorteile zu. Die Fluggesellschaft trifft die Pflicht die Höhe der Vergütung zu bestimmen und zusätzlich im Rahmen der sekundären Darlegungslast die ersparten Aufwendungen und Erlösvorteile vorzutragen. Somit besteht für den Fluggast die Möglichkeit, die Angaben der Fluggesellschaft zu kontrollieren und gegebenenfalls den Nachweis für höhere ersparte Aufwendungen oder der Erzielung von Erlösvorteilen zu führen.

Ansprüche des Fluggastes

Für den Fluggast stellt die Darlegung der ersparten Aufwendungen ein großes Problem dar, denn viele Fluggesellschaften bringen das Argument vor, dass nach einer Kündigung des Beförderungsvertrages kaum Aufwendungen eingespart werden. Dies wurde durch den BGH in seinem Urteil nicht berücksichtigt. a) Als Einsparungen dürfen nicht nur die Steuern und Gebühren angesehen werden, sondern auch andere Beträge wie z.B. die Nichtgewährung der Bordverpflegung und auch die Reduzierung des Kerosinverbrauchs, wenn der Fluggast nicht befördert wird. Die Ermittlung der Ersparnisse bei den Kosten wegen der Nichtgewährung der Bordverpflegung stellt keine Schwierigkeit dar, denn diese können vom Gericht nach § 287 ZPO geschätzt werden, wenn der Fluggast belegen kann, dass die Bordverpflegung Teil des von ihm abgeschlossenen Beförderungsvertrages war. b) Anders verhält es sich dagegen mit der Berechnung der Kerosinersparnis. Eine solche ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden. Das LG Berlin (LG Berlin, Urt. v. 13.12.2016, Az.: 88 S 3/16) hat entschieden, dass es grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, dass wegen der Nichtteilnahme eines Fluggastes am Flug Kerosin eingespart werden kann aber bei größeren Passagierflugzeugen ist wohl eher schwieriger nach der Nichtteilnahme von zwei Fluggästen am Flug festzustellen, ob es tatsächlich zu einer Kerosineinsparung gekommen ist. Man darf nämlich nicht außer Acht lassen, dass der Kerosinverbrauch pro befördertem Passagier und pro Flugstrecke von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängt, wie z.B. von dem Gewicht des Fluggastes und dessen Gepäck, aber auch von den Windverhältnissen, von eventuell notwendigen Abweichungen von der ursprünglich geplanten Flugstrecke, Warteschleifen und vielen anderen Faktoren. Es ist davon auszugehen, dass die Preiskalkulation des Luftfahrtunternehmens auf den Betriebserfahrungen beruht und anhand des durchschnittlichen Kerosinverbrauch pro beförderten Fluggast ermittelt wird. Da die Ermittlung des Kerosinverbrauches von vielen Faktoren abhängt und mit viel Aufwand verbunden ist, dürfte es schwierig sein zu ermitteln, ob und falls, dann in welchem Umfang die Nichtteilnahme weniger Fluggäste an einem Flug im Einzelfall zu ersparten Aufwendungen für die Fluggesellschaft führt. Da das Luftfahrtunternehmen hierzu dementsprechend keine näheren Angaben machen kann, kommt es nicht zu einer Anrechnung der Kerosineinsparung. c) Die Werbung vieler Luftfahrtunternehmen widerspricht jedoch der Realität, indem sie mit modernen Flotten einen geringen Pro-Kopf-Verbrauch von Kerosinversprechen. Bezieht man sich auf den Klimaschutzreport 2017 des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), so kam es im Jahr 2016 zu einem Verbrauch pro Fluggast von einhundert geflogenen Kilometern i.H.v. 3,64 l Kerosin. Anhand dieser Daten, stellt es für ein Luftfahrtunternehmen keine Schwierigkeit dar, auszurechnen, zu welchem Kerosinverbrauch es auf einem bestimmten Fluggekommen ist und dann die Zahlen zum Kerosinverbrauch unter Berücksichtigung des von einhundert oder zweihundert kg verminderten Gesamtgewichts anzugeben. d) Man sollte sich stets vor Augen halten, dass der größere Teil der Kerosinkosten nicht auf den gekündigten Beförderungsvertrag bezogen ist, sondern zur Erfüllung der Beförderungspflichten gegenüber anderen Fluggästen dient. Es kommt erst dann zu Beförderungsverträgen mit Fluggästen, nachdem der Flug durch das Luftfahrtunternehmen eingeplant wurde. Erst ab diesem Zeitpunkt trifft das Luftfahrtunternehmen die Pflicht, den Flug gem. § 21 Abs. 2 S. 3 LuftVG tatsächlich Durchführen zu müssen. Aus diesem Grund stellen die damit einhergehenden Kosten keine vertragsbezogenen Kosten dar, welche im Rahmen der Ermittlung der ersparten Aufwendungen berücksichtigt werden müssen. e) Das LG Frankfurt/M. (LG Frankfurt/M., Urt. v. 13.8.2015, Az.: 2-24 S 22/15) konnte anhand der Angaben eines Luftfahrtunternehmens das eingesparte Kerosin bei einem Kurzstreckenflug (München-Hannover) mit einem Wert von 2,50 € benennen. In diesem Fall argumentierte das Luftfahrtunternehmen, dass das Gewicht des Fluggastes im Zusammenhang mit dem Gesamtgewicht des Flugzeuges, welches einschließlich Fluggäste, Gepäck und Betankung bei ca. 80 t vorwies, kaum ins Gewicht fällt. Wiegt ein Fluggast zum Beispiel geschätzte 80 kg, also 1/1000 des Startgewichts des Flugzeuges, dann kommt es lediglich zu einer Einsparung von 1/1000 des gesamten Kerosinverbrauchs für den Flug auf der Strecke von München nach Hannover. Es ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das Fluggerät im Reiseflug pro Stunde 2.700 l Kerosin verbraucht. Die Geschwindigkeit im Reiseflug beträgt dabei etwa 840 km/h. Aus diesem Grund kommt es zu einem Verbrauch von 2,7 l/Passagier und 840 km/h. Nur bei einer großzügigen und überschlagenen Abrechnung kommt es zu einer Einsparung von 2,7 l/Passagier und 840 km zurückgelegter Strecke. Betrachten wir also erneut den Flug von München nach Hannover (Luftlinie 500 km), dann kommt es zu einer größeren Einsparung als 2,7 l Kerosin zum Preis von 2 bis 2,20 € je Gallone (rd. 3,8 l). Das sind die Werte, welche das LG für die Schätzung der Einsparung von Kerosinkosten beitragen kann. f) Bei der Schätzung des LG wird außer Acht gelassen, dass das Meiste Kerosin verbraucht wird, damit zunächst das Flugzeug mit einem Leergewicht überhaupt in Bewegung gesetzt werden kann. Weiterhin muss beachtet werden, dass der Flug nicht nur für den kündigenden Fluggast angesetzt war, sondern für alle Fluggäste (auch für die des Rückfluges). Damit ist es schwierig die eingesparten Kerosinkosten durch einen Vergleich zwischen dem Gesamtgewicht und dem Passagiergewicht ermitteln zu wollen. Damit die Einsparung von Kerosinkosten genau berechnet werden kann, muss zunächst eine Feststellung des Verbrauchs bezogen auf den einzelnen Fluggast im Verhältnis zu allen weiteren Fluggästen berechnet werden. Bei Kurzstreckenflug kommt es somit nur zu einer geringfügigen Einsparung von Kerosinkosten. Wendet man diese Berechnungsmethode jedoch bei Langstreckenflügen von mehreren tausend Kilometern an, so kommt es durchaus zu einer nennenswerten Einsparung von Kerosinkosten.

Abschluss des Vertrages mit Luftfahrtunternehmen einer Allianz

Betrachten wir kurz weiterhin den Fall, in dem der Fluggast den Vertrag mit einem Luftfahrtunternehmen abschließt, welches die Beförderung nicht selbst ausführt. Nicht selten kommt es vor, dass Fluggesellschaften welche Teil der weltweit operierenden Allianzen (Star Alliance, One World, u.Ä.) sind, eigene Flugtickets verkaufen, welche den Fluggast zu einer Beförderung mit anderen Fluggesellschaften der Allianz berechtigen. Das bedeutet, dass in solchen Fällen die Fluggesellschaft, welche den Beförderungsvertrag mit dem Fluggast abschließt, den Flug nicht selbst durchführt. Somit entstehen dem Luftfahrtunternehmen, der nur Vertragspartner ist, keine Kosten für die Durchführung des Fluges. Jedoch müssen sie den Großteil des vereinnahmten Ticketentgelts an das den Flug ausführende Luftfahrtunternehmen leisten. In einigen Fällen kommt es zu der Situation, dass bei einer Kündigung des Luftbeförderungsvertrages durch den Fluggast, die ausführende Fluggesellschaft vom vertraglichen Luftfahrtunternehmen keine Vergütung bekommt. In einem solchen Fall spart sich das vertragliche Luftfahrtunternehmen die gesamten Kosten, welche normalerweise im Zusammenhang mit der Durchführung des Fluges entstanden wären, nach der Kündigung durch den Fluggast. Diese Ersparnisse sind nach der Gesetzeslage an den kündigenden Fluggast zurückzugeben.

Auslastungssituation und Erlösvorteile

Werfen wir weiterhin einen Blick auf die Auslastungssituation eines Fluges und die damit verbundenen Erlösvorteile. a) In der heutigen Zeit ist es wohl nichts Besonderes mehr, wenn ein Flugzeug zu 100 % ausgelastet ist. Das lässt sich unter anderem damit begründen, dass z.B. die innerdeutschen Strecken teilweise unter den Preisen der Deutschen Bahn verkauft werden. Weiterhin kommt es vor allem in den Ferienzeiten zu der gesamten Ausbuchung der Flugzeuge der Linienfluggesellschaften. Aus diesem Grund kann man durchaus davon ausgehen, dass eine große Anzahl von Flugzeugen bis auf den letzten Platz ausgelastet ist, obwohl vor der Durchführung des Fluges einige Verträge gekündigt wurden. Schließlich besteht für die Fluggesellschaften die Möglichkeit, anstelle des kündigenden Fluggastes einen Beförderungsvertrag mit einem weiteren Fluggast abzuschließen. Beispielhaft dafür ist die Überbuchungspraxis der Fluggesellschaften zu nennen. b) Möchte man die Erlösvorteile ermitteln, dann darf man nicht nur auf die anderweitige Vermarktung der durch die Kündigung des Beförderungsvertrages frei gewordenen Sitzplätze geachtet werden. Man darf nicht nur die Auslastung in der vom kündigenden Fluggast gewählten Beförderungsklasse beachten. Es darf also nicht nur auf die Auslastungssituation an sich abgestellt werden. Denn dann bleibt völlig unberücksichtigt, dass Sitzplätze in der gleichen Beförderungsklasse aber in unterschiedlichen Tarifklassen angeboten und verkauft werden. Schließlich hat jeder Beförderungsvertrag, der mit einem Luftfahrtunternehmen in derselben Beförderungsklasse aber einer anderen Tarifklasse geschlossen wurde, zwar einen identischen Sitzplatz aber es wird ein unterschiedlicher Leistungsumfang für den Fluggast angeboten. c) Weiterhin muss berücksichtigt werden, ob die gesamte Nutzlastkapazität eines Flugzeuges nicht durch Mitnahme von Fracht vollkommen erschöpft wurde. So befördern Großraumflugzeuge auf Interkontinentalflügen im Laderaum immer bezahlte Fracht und diese sorgt wiederum für ein zusätzliches Gewicht. So kann es durchaus auch zu der Situation kommen, dass die Passagierkapazität zwar nur mit 80 % ausgeschöpft ist aber durch die Mitnahme von schwerer Ladung im Frachtraum kann das maximale Startgewicht dann bereits erreicht sein. d) Beachtet man alle diese Ausführungen, dann kann man nicht einfach annehmen, dass ein Fluggast, der den geschlossenen Beförderungsvertrag kündigt, keine nennenswerte Rückzahlung erhalten kann und die Klausel, die die Rückerstattung des Ticketentgelts ausschließt, den Fluggast nicht unangemessen benachteiligt. Schließlich muss beachtete werden, dass die Fluggesellschaft auf Kosten der Fluggäste, die ihr Ticket kündigen, den durch die Kündigung freigewordenen Sitzplatz, durch einen weiteren Beförderungsvertrag an einen anderen Fluggast in kürzerer Zeit bis zum Abflug für einen deutlich höheren Preis verkaufen können. Bekanntermaßen werden die Flugtickets, je näher das Flugereignis rückt, teurer und nicht preiswerter. Aus diesem Grund scheint es nur fair zu sein, dass der kündigende Fluggast sein Ticketentgelt vollständig zurück bekommt, wenn das Flugzeug zu 100 % ausgelastet ist bzw. aufgrund beförderter Fracht keine weiteren Passagiere aufnehmen kann.

Zusammenfassung

Bei der Frage nach dem Interessenausgleich zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem kündigenden Fluggast hat der BGH sich für das Luftfahrtunternehmen entschieden. Den Fluggesellschaften steht die Möglichkeit zu, den durch Kündigung frei gewordenen Sitzplatz durch einen weiteren Beförderungsvertrag (meist zu einem höheren Preis) an einen anderen Fluggast zu vergeben. Der Fluggast hat jedoch keine Möglichkeit, in einem möglichen Prozess darzulegen und möglicherweise zu beweisen, dass der Fluggesellschaft durch die Kündigung ein weiterer Erlös zugekommen ist. Weiterhin erlaubt der BGH dem Fluggast nicht ersparte Aufwendungen der Fluggesellschaft vom vereinbarten Werklohn abzuziehen, wenn ein Luftfahrtunternehmen den Flug durch ein anderes Luftfahrtunternehmen ausführen lässt. Damit kommt es zu einer Verringerung des Schutzes der Fluggäste vor unangemessenen Vergütungsverlangen. Für die Fluggäste handelt es sich bei dieser neuen rechtlichen Situation um eine schwierige Situation, weil entschieden wurde, dass sie entgegen der gesetzlichen Regelung den Werklohn lange vor Durchführung der Beförderung bezahlen müssen. Das bedeutet wiederum, dass Fluggäste nach einer Kündigung selbst aktiv werden müssen, damit sie wenigstens einen Teil der Vergütung zurück zu erhalten können von dem Luftfahrtunternehmen.

Siehe auch