Verspätung nach Art. 19 MÜ

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Fraglich ist, wie der Begriff der Verspätung im Montrealer Übereinkommen zu verstehen ist und wie dieser letztendlich von anderen haftungsbegründenden Pflichtverletzungen abzugrenzen ist.

Der Begriff der Verspätung im Montrealer Übereinkommen

Gemäß Art. 19 MÜ muss der Luftfrachtführer den Schaden ersetzen, welcher durch die Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht. Entgegen der Befürwortung einiger Delegationen wurde eine Definition des Begriff Verspätung jedoch nicht in das Montrealer Übereinkommen aufgenommen. Der Verspätungsbegriff muss daher durch Auslegung ermittelt werden. Dahingehend stehen die juristischen Auslegungsmethoden zur Verfügung.

Grammatische Auslegung

In Betracht kommt dafür zunächst die grammatische Auslegung. Sie wird auch als die Auslegung nach dem Wortlaut bezeichnet. Diese Methode stellt für den Juristen die wohl wichtigste Auslegungsmehtode dar, denn der Wortlaut ist die Grenze einer jeden Auslegung. Würde eine Auslegung den Wortlaut einer Norm „sprengen“, wäre das höchst willkürlich und so vom Gesetzgeber nicht gewollt. Hinsichtlich des Verspätungsbegriff im Montrealer Übereinkommen gestaltet sich die Auslegung nach dem Wortlaut schwierig, denn die deutsche Übersetzung ist nicht verbindlich. Im der französischen Fassung, welche verbindlich ist, wird ebenfalls nicht klar erkennbar, ob eine Verspätung der Abflug- oder der Ankunftszeit gemeint ist. Die verbindliche englische Fassung dagegen, stellt wohl eher auf eine Abflugverspätung ab. Ein Anhaltspunkt könnte in Art. 19 MÜ trotzdem gegeben sein. Dort ist zu lesen: „…Verspätung bei der Luftbeförderung…“. Dies setzt voraus, dass eine solche stattgefunden hat. Jedoch ist die deutsche Fassung eben nicht verbindlich, weshalb sich dahingehend Auslegungsfehler ergeben können, welche auf die Übersetzung zurückzuführen sind. Vielmehr wird man wohl davon ausgehen müssen, dass Ankunfts- und Abflugverspätungen vom Montrealer Übereinkommen umfasst sind.

Systematische Auslegung

Bei der systematischen Auslegung wird das Normensystem des Gesetzes betrachtet und versucht, anhand anderer Paragraphen oder Artikel desselben Gesetzes, die Bedeutung der einzelnen Norm zu verstehen. Dahingehend lassen sich aus dem Übereinkommen jedoch keine Schlüsse ziehen.

Historische Auslegung

Die historische Auslegung umschreibt die Auslegung dahingehend, ob zum Zeitpunkt der Gesetzgebung, also in der Vergangenheit, irgendwelche besonderen Umstände galten. Aber auch der vergangene Gesetzgebungsprozess wird beleuchtet, sowie etwaige Protokolle oder Gesetze in ihrer „Rohfassung“. So hatte man bezüglich des Übereinkommens in der Erstfassung sogar eine Definition des Begriffs Verspätung enthalten. Jedoch wurde diese wegen Diskussionen der Verantwortlichen schließlich gestrichen. Man konnte ihr jedoch entnehmen, dass man wohl von einer Ankunftsverspätung ausging. Insofern war wohl von einer Ankunftsverspätung am Zielort oder Zwischenlandungsort die Rede. Verschiedene Delegierte haben immer wieder Aussagen getroffen, welche auf den Verspätungsbegriff als Ankunftsverspätung schließen lassen. Legt man das Montrealer Übereinkommen mit der historischen Auslegungsmethode aus, so wird man wohl davon ausgehen müssen, dass mit dem Begriff der Verspätung im Übereinkommen die Ankunftsverspätung gemeint ist.

Teleologische Auslegung

Die teleologische Auslegung meint die Auslegung nach dem Sinn und Zweck. Das bedeutet, dass eine Norm so ausgelegt wird, wie es sinnvoll erscheint und welchen Zweck sie verfolgt. Dazu gehört auch zu sehen, welche Intention der Gesetzgeber hatte bzw. welcher Zweck nicht nur hinter der einzelnen Norm, sondern hinter dem ganzen Gesetz steht. Hinsichtlich des Sinn und Zwecks des Art. 19 MÜ ist zu erwähnen, dass die Norm die Haftung des Luftfrachtführers eigentlich begrenzen soll. Würde man nun annehmen, dass der Verspätungsbegriff in Art. 19 MÜ auch die Abflugverspätung umfasst, würde die Haftung des Luftfrachtführers zu weit ausufern. Man würde den Ersatz von Schäden, welche auf eine Abflugverspätung zurückzuführen ist, ohne weitere Voraussetzungen zulassen. Das ist mit dieser Regelung jedoch nicht gewollt. Es fehlt ebenfalls an konkreten Voraussetzungen für Schadensersatz statt der Leistung im Fall einer Abflugverspätung. Subsumiert man diese unter den Begriff der Verspätung, könnte der Fluggast ohne weitere Vorbedingungen im Fall einer Abflugverspätung Schadensersatz statt der Leistung fordern, obwohl die Beförderung noch geleistet werden kann. Dies kann nicht im Sinne des Gesetzes sein. Vielmehr erscheint es sinnvoll den Schadensersatz statt der Leistung über nationales Recht abzuwickeln. Insofern ist auch nach der teleologischen Auslegung davon auszugehen, dass im Übereinkommen von Montreal die Verspätung im Sinne der Ankunftsverspätung zu verstehen ist.

Ergebnis

Wenn man die vier grundlegenden juristischen Auslegungsmethoden zur Hand nimmt, kommt man i Ergebnis zu dem Schluss, dass es sich bei Art. 19 MÜ um eine Regelung handelt, welche sich auf die Ankunftsverspätung bezieht.

Abgrenzung zur Nichtbeförderung

Es wird versucht den Begriff der Verspätung so zu erfassen, dass man ihn von der Nichtbeförderung abgrenzt. Die Rechtsprechung wendet für Fälle der Nichtbeförderung das nationale Recht an. Der Art. 19 MÜ gilt lediglich für Verspätungen des Fluggastes.

Wann ist eigentlich eine Nichtbeförderung gegeben?

Umstritten ist, wann eine solche Nichtbeförderung gegeben ist. Dem Montrealer Übereinkommen oder dem Warschauer Abkommen lassen sich zumindest keine Definition für eine Nichtbeförderung entnehmen. Eine endgültige Nichtbeförderung ist jedenfalls immer zu erkennen. Die Geltendmachung etwaiger Rechte wegen einer Nichtbeförderung ergeben sich dann aus nationalem Recht.

Problem: Die vorübergehende Nichtbeförderung

Eine Problematik ergibt sich jedoch bei der vorübergehenden Nichtbeförderung. Die vorübergehende Nichtbeförderung und die Verspätung können grundsätzlich nebeneinander bestehen. Die vorübergehende Nichtbeförderung schließt die Verspätung nicht aus. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass trotz angeblichen absoluten Fixgeschäftscharakters des Luftbeförderungsvertrages Überschreitungen der Abflugzeit möglich sind, ohne dass eine endgültige Nichtbeförderung eintritt. Insofern soll wohl erst nach ein bis zwei Tagen eine endgültige Nichtbeförderung vorliegen. Das bedeutet, dass Art. 19 MÜ wohl auch bei einer vorübergehenden Nichtbeförderung Anwendung findet. Verständlich wird dies, wenn man sich verinnerlicht, dass eine vorübergehende Nichtbeförderung immer eine verspätete Ankunft zur Folge hat. Auch insofern ist davon auszugehen, dass sich der Verspätungsbegriff auf die Ankunftszeit bezieht.

Trennung zwischen Abflug- und Ankunftsverspätung

Schließlich ist es wohl erforderlich eine Trennung zwischen Abflug- und Ankunftsverspätung vorzunehmen. Beruhen Schäden einzig auf einer Abflugverspätung kann der Fluggast diese nur über nationales Recht geltend machen. Lassen sich die Schäden jedoch auf eine Ankunftsverspätung zurückführen, ist das Montrealer Übereinkommen, insbesondere der Art. 19 MÜ, anwendbar. Wenn sich die Schäden nun auf Abflug- und Ankunftsverspätung zurückführen lassen, müsste es gleichgültig sein, ob sich der Fluggast auf nationales Recht oder auf das Montrealer Übereinkommen beruft. Eine Abflugverspätung artet in den Regelfällen ja auch in eine Ankunftsverspätung aus.

Ergebnis

Zusammenfassend muss man davon ausgehen, dass der Begriff der Verspätung in Art. 19 MÜ wohl die Ankunftsverspätung meint.

Rechtsprechung

Gericht, Datum   Aktenzeichen   Aussage zur Thematik
BGH, Urteil vom 28.09.1978 VII ZR 116/77
  • Das Warschauer Abkommen (Heute: Montrealer Übereinkommen) findet bei Verspätungen in der internationalen Luftbeförderung Anwendung.
  • Dies gilt jedoch nicht für die endgültige Nichtbeförderung. Für diese muss nationales Recht Anwendung finden.