Entfernung nach der Großkreismethode

Aus PASSAGIERRECHTE
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Großkreismethode

Erleidet ein Fluggast bei einer Verspätung einen vergleichbaren Schaden wie bei einer Annullierung, so hat der Fluggast einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Grundsätzlich wird die Entfernung nach Art. 7 Abs. 4 VO anhand des letzten Zielortes ermittelt. Die Entfernung ist dabei nach der Methode der Großkreisentfernung zu berechnen. Fraglich ist nur, ob bei der Ermittlung der Entfernung die Berechnung auf der kürzesten Strecke zu erfolgen hat oder die Summe der Entfernungen der einzelnen Teilstrecken herangezogen werden muss. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine einheitlich gebuchte Reise, die aus zwei Flügen des selben Luftfahrtunternehmens zusammengesetzt ist. Hier war also weder ein direkter Flug angeboten noch bezahlt wurden. Aus der Fluggastrechteverordnung geht hervor, dass die Höhe des Entschädigungsanspruchs nach Art. 7 VO die mit einem Flug zurückgelegt werden soll, abhängig ist. Aus diesem Grund folgt das Berufungsgericht der Rechtsansicht des HG Wien in seiner Entscheidung vom 07.08.15 Az.: 60 R 48/15 m, wonach die Summe der Einzelentfernungen entscheidend ist. Ausschlaggebend ist damit die Entfernung der tatsächlich geflogenen Strecke. Denn zu beachten ist, dass die Fluggastrechteverordnung vor allem dazu dienen soll, die Fluggastrechte zu stärken und ein hohes Schutzniveau für Fluggäste zu bieten. Weiterhin soll durch die Verordnung den Erfordernissen des Verbraucherschutzes in vollem Umfang Rechnung getragen werden. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Leitlinien der europäischen Kommission für die österreichischen Gerichte nicht verbindlich sind. Des weiteren muss beachtet werden, dass die Fluggastrechteverordnung 2004 beschlossen wurde und die Leitlinien erst 2016 und den Leitlinien somit nicht die Eigenschaft als erläuternde Bemerkung zukommen kann. Somit folgt das Berufungsgericht der verbraucherfreundlichen Auslegung der Verordnung und nicht der europäischen Kommission. Das LG Graz entschied in der Rechtssache R 66/17 p am 10.05.17, dass bei einer einheitlich gebuchten Flugreise über zwei oder mehrere Teilstrecken es bei der Ermittlung der Entfernung zwischen dem Startflughafen und dem Endflughafen auf die Summe der Einzelentfernungen ankommt. Dabei sind die Leitlinien der europäischen Kommission für die Gerichte bei der Auslegung der Verordnung nicht verbindlich.

Berechnung der Entfernung als Rechtsfrage

Das LG Köln hat dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV am 30.05.17 (11 S 230/16) eine Rechtsfrage vorgelegt. Dabei ging es darum ob Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO so auszulegen ist, dass sich der Begriff der Entfernung nach der Großkreismethode ermittelt wird, indem nur die direkte Entfernung zwischen Abflug- und letztem Zielort umfasst wird und die tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke keine Berücksichtigung findet. Rechtsprechung und Literatur vertreten unterschiedliche Auffassungen was die Definition des Begriffs der Entfernung in Art. 7 Abs. 1 VO betrifft. Einer Ansicht zu Folge kommt es auf die tatsächlich zurückgelegte Strecke an. Aus diesem Grund werden die Teilstrecken für die Ermittlung der Entfernung addiert (AG Frankfurt a.M., BeckRS 2014, 12199; AG Düsseldorf, NJW-RR 2016, 249; Führich, Reiserecht (7. Auflage 2015), § 42 Rn. 4; Hk-Fluggast VO/Keiler, Art. 7 Rn. 19; für Österreich BGHS, Urt. v. 15.02.16 Az.: 16 C 129/15k-12). Als Begründung für diese Ansicht wird auf die streckenabhängige Staffelung der Ausgleichsansprüche in Art. 7 VO verwiesen. Dies soll der Beweis dafür sein, dass der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Unannehmlichkeiten für den Fluggast mit der Entfernung ansteigen. Nimmt man also Bezug auf die tatsächlich geflogene Strecke, so muss bei der Berechnung der Entfernung sowohl die Strecke zwischen dem Startflughafen und dem Zwischenlandeort berücksichtigt werden, als auch die Strecke zwischen dem Zwischenlandeort und dem Endziel. Dann muss aus beiden Entfernungen der Teilstrecken die Summe gebildet werden ((AG Frankfurt a.M., BeckRS 2014, 12199; BeckOK FluggasstrechteVO/Maruhn (2. Edition Stand 10.04.17), Art. 7 Rn.12)). Eine solche Auslegung des Begriffs der Entfernung würde auch dem Inhalt des Beförderungsvertrages entsprechen, mit dem gerade diese Flugstrecke gebucht worden ist. Für eine solche Auslegung spricht auch weiterhin, dass bei Umsteigeverbindungen zusätzliche Flughafengebühren anfallen, die auch im Ticketpreis enthalten sind und das im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms für jeden einzelnen Flugabschnitt Gutschriften erfolgen und somit auch in solchen Fällen nicht einfach auf die direkte Verbindung von Start- und Zielort abgestellt wird. Berücksichtigt werden muss weiterhin, dass jede Zwischenlandung das theoretische Risiko in sich birgt, dass eine Verzögerung bei der Personen-oder Gepäckbeförderung auftritt (Hk-FluggastVO/Keiler, Art. 7 Rn. 19). Diese Auffassung wird sogar zum Teil in einer Entscheidung des BGH vom 14.10.10 (Xa ZR 15/10) aufgeführt. Dieses Urteil beschäftigte sich jedoch nicht konkret mit dieser Fragestellung. In dem Urteil ging es um die Frage ob bei einer Annullierung einer Teilstrecke nur die Entfernung dieser Teilstrecke von Bedeutung ist oder doch die Entfernung bis zum letzten Zielort der Reise. In seinem Urteil hält der BGH den Zielort der Reise für ausschlaggebend und hat entschieden, dass die Entfernung nach der Methode der Großkreisentfernung zwischen dem Abflugort und dem Endziel zu ermitteln ist und nicht durch das summieren der Großkreisentfernungen der einzelnen relevanten Anschlussflüge. Dieser Auffassung schlossen sich viele Gerichte an (LG Landshut, BeckRS 2016, 41186; LG Hamburg, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 s 2291/15 und 15.1.16-320 S 8/15; AG Köln, BeckRS 2016, 04824; AG Hamburg, Urt. v. 03.06.15 Az.: 120a C 28/15; AG Nürtingen, Urt. v. 28.05.15, Az.: 12 C 394/15; AG Wedding, Urt. v. 14.10.15, Az.: 22a C 193/15). Auch die Kammer unterstützte die europäische Kommission bei dieser Ansicht, dass dem Wortlaut zu Folge auf die Bemessung nach der direkten Verbindung abzustellen ist. Verneint wird auch die Ansicht, dass der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass mit der Entfernung die Unannehmlichkeiten für den Fluggast zunehmen. Ursprünglich sollte die Verordnung die Fälle der Annullierung regeln. Bei einer Annullierung kann es jedoch nicht zu Unannehmlichkeiten während der Reise kommen, da die Reise gar nicht stattfindet. Der Verordnungsgeber ging es vielmehr darum, dass mit einer wachsenden Entfernung auch der Preis für einen Flug steigt und deshalb dazu eine angemessene Entschädigung erfolgen muss (vgl. LG Landshut, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 S 2291/15). Weiterhin ist zu beachten, dass es bei einer Summierung der Teilstrecken dazu kommen würde, dass für Umsteigeverbindungen eine höhere Entschädigung gezahlt werden würde als bei einer Direktverbindung. Dabei muss beachtet werden, das Direktverbindungen in der Regel teurer sind als Umsteigeverbindungen. Eine solche Summierung der Teilstrecken hätte demnach ein Missverhältnis von Entschädigung und Reisepreis zur Folge.

Urteil des LG Köln

Im vorliegenden Fall hatte der Fluggast einen Flug bei der Lufthansa für den 29.07.15 von Dublin nach Frankfurt a.M. (LH 9981) gebucht und von Frankfurt nach Kopenhagen (LH 832). Der Flug von Dublin verspätete sich und erreichte Frankfurt a.M. mit einer Verspätung. Der Fluggast verpasste dadurch seinen Anschlussflug nach Kopenhagen und erreichte sein Endziel mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden. Nun ist streitig welche Entfernung zu Grunde gelegt werden muss um die Höhe der Ausgleichszahlungen zu bestimmen. Die Entscheidung dieses Falls hängt nun davon ab wie die Berechnung der Entfernung erfolgen soll.

Urteil des LG Graz

Im vorliegenden Fall begehrt der Fluggast vom Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 150 Euro nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Der von ihm gebuchte Flug von Graz nach Frankfurt hatte Verspätung und der Fluggast konnte seinen Anschlussflug nach Barcelona nicht mehr erreichen. Er erreichte sein Endziel dann statt dem 10.03.15 um 23: 20 Uhr erst am 11.03.15 um 08:21 Uhr. Die Flugstrecke von Graz über Frankfurt nach Barcelona beträgt dann insgesamt mehr als 1.500 km. Der Fluggast hat jedoch keinen Direktflug gebucht und aus diesem Grund kann bei der Berechnung der Entfernung nicht die Entfernung auf direkter Linie herangezogen werden. Das Luftfahrtunternehmen wendet jedoch ein, dass für die Ermittlung der Entfernung der letzte Zielort entscheidend ist, an dem der Fluggast wegen der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als geplant ankommt. Nach der Leitlinie der Europäischen Kommission vom 10.06.16 zur Auslegung der Verordnung muss die Entfernung aus der Entfernung zwischen Abflugort und Endziel ergeben. Nicht jedoch durch die Addition der Entfernungen der beiden Teilstrecken. Somit muss das Luftfahrtunternehmen nur 250 Euro für die Strecke von Graz nach Barcelona zahlen, welche nur 1.240 km beträgt. Das Erstgericht entschied zu Gunsten des Luftfahrtunternehmens. Auch das Erstgericht ging nur von der Strecke von Graz nach Barcelona aus, welche weniger als 1.500 km beträgt und dem Fluggast somit nur eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro zustehen kann. Das Erstgericht orientiert sich dabei an den Leitlinien der Europäischen Kommission vom 10.06.16. Zwar sei nach Ansicht des Erstgerichts diese Richtlinien nicht verbindlich als sogenanntes Soft Law. Dadurch könnten jedoch die geltenden Vorschriften wirksamer und einheitlicher durchgesetzt werden. Für die Höhe der Ausgleichszahlung muss demnach nur die unmittelbare Distanz zwischen Abflugsort und Endziel beachtet werden. Der Fluggast legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Dem Fluggast steht nach Art. 7 Abs. 1 VO bei sowohl bei einer Annullierung als auch bei einer Nichtbeförderung ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu. Bei einer Entfernung von bis zu 1.500 km beträgt die Höhe der Ausgleichszahlung 250 Euro. Bei einer Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km beträgt die Höhe der Ausgleichszahlungen 400 Euro. Damit steht dem Fluggast ein Anspruch in Höhe von 400 Euro zu. Denn es wird auf die Summe der Einzelstrecken bei der Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs abgestellt.

Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union

Die Frage, wie der Begriff der „Entfernung“ gemäß Art. 7 Abs. 1 VO-EG Nr. 261/2004 definiert werden muss, wenn ein Flug aus mehreren Teilflügen i.S.v. Anschlussflügen besteht („von A nach B über C“), ist durch Rechtsprechung des EuGH mittlerweile höchstrichterlich geklärt (EuGH, Urt. v. 07.09.2017, Rs. C-559/16).

Anlass der Entscheidung war eine Rechtsstreitigkeit zwischen Passagierinnen und der Fluggesellschaft Brussels Airlines S.A., dessen Gegenstand eine bei betreffender Fluggesellschaft gebuchte Flugbeförderung von Rom nach Hamburg mit Umstieg in Brüssel war. Aufgrund einer Verspätung des ersten Fluges von Rom nach Brüssel erreichten die Passagierinnen den vorgesehenen Anschlussflug nach Hamburg nicht mehr, sondern erst den nachfolgenden Flug. Mit diesem erreichten die Passagierinnen Hamburg mit einer Verspätung von 3 Stunden und 50 Minuten. Strittig war zwischen den Parteien die Höhe der Ansprüche auf Ausgleichsleistungen nach der [EG-VO Nr. 261/2004]. Diese richtet sich gemäß Art. 7 Abs. 1 VO-EG Nr. 261/2004 nach der Entfernung zwischen Abflugort Rom und dem Endziel Hamburg, bzw. danach, wie sich diese Entfernung berechnet, wenn, wie hier, ein Zwischenstopp vorgesehen ist. Unter Einbeziehung des Zwischenstopps in Brüssel ergibt sich nämlich eine Entfernung von mehr als 1.500 Kilometern, während sich nach der sog. Großkreismethode, unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke, die direkte Entfernung zwischen Rom und Hamburg lediglich auf rund 1.300 Kilometer beziffern lässt.

Grundsätzlich können Passagiere bei Verspätungen von drei Stunden oder mehr auch der Höhe nach die gleiche Ausgleichsleistung wie Fluggäste annullierter Flüge beanspruchen, da sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden (EuGH, Urt. v. 23.10.2012, Rs. C-581/10, C-629/10). Entsprechend sind die Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. Iii der EG-VO Nr. 261/2004 auszulegen. Die in der Verordnung festgelegten Ausgleichsleistungen sind derart bestimmt, dass sie sich nach der Schwere der Beeinträchtigung für die Fluggäste richten; dies gilt sowohl für die Art als auch die Höhe der Leistungen (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04). Hinsichtlich des Grades der Unannehmlichkeit ergibt sich nach Ansicht der Richter kein Unterschied zwischen einem Direktflug oder einem Flug mit Anschlussflug, auch wenn in letzterem Fall die zurückgelegte Flugstrecke regelmäßig länger ist. Die Unannehmlichkeiten bestehen in einem solchen Fall nämlich in dem erlittenen Zeitverlust gegenüber der ursprünglichen Reiseplanung, der immer bei Ankunft am Endziel festgestellt wird. Somit haben tatsächlich zurückgelegte Flugstrecken für sich genommen keinen Einfluss auf das Ausmaß der Unannehmlichkeiten, das sich nur anhand des Zeitverlustes am Endziel bestimmt. Denn nur diese Unannehmlichkeiten sollen nach der Verordnung durch entsprechende Geldleistungen ausgeglichen werden. Somit ist bei der Berechnung der Entfernung lediglich die Distanz zwischen Abflugort und dem Endziel nach der Großkreismethode zu berücksichtigen.

Gerichtsentscheidungen

Tenor
HG Wien, Urt. v. 7.8.15, Az: 60 R 48/15 m Berechnung der Entfernung
Entfernung wird durch eine Addition der auf dem Flugplan ausgewiesenen Einzelstrecken zu berechnet 
AG Düsseldorf, Urteil vom 28.9.2015 – 45 C 21/15 Bei der für die Ermittlung der Höhe der Entschädigung nach der Fluggastrechnung nach der Grosskreismethode zu bestimmenden Entfernung sin die einzelnen Teilstrecken zu addieren
BGH, Urteil vom 14.10.10, Az.: Xa ZR 15/10 Zubringerflug gestrichen - Entschädigung für die gesamte Strecke
LG Landshut, Urteil v. 16.12.2015 – 13 S 2291/15 Höhe der zu leistenden Ausgleichszahlungen
Uerteil des europ. Gerichtshofs, ECLI:EU:C:2017:644 Der Begriff Entfernung umfasst im Fall von Flugverbindungen mit Anschlussflügen nur die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel, die nach der Großkreismethode zu ermitteln ist, unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke.



Ähnliche Beiträge