Anwendungsbereich des Reiserechts (BGH X ZR 134/13 Urteil vom 20.05.2014)

Aus PASSAGIERRECHTE
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BGH Urteil zum Anwendungsbereich des Reiserechts (BGH X ZR 134/13 Urteil vom 20.05.2014)

• Bucht der Reisende bei dem Reiseveranstalter nur ein Hotel und keine weiteren Reiseleistungen, so gilt für den geschlossenen Vertrag über die Hotelbuchung trotzdem das Reiserecht.

• Dazu ist jedoch notwendig, dass der Reiseveranstalter die Hotelbuchung in eigener Verantwortung erfüllt und mit den gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten erbringt, wie bei einer Buchung mit einer weiteren Reiseleistung.

• Der Reiseveranstalter muss den Reisenden in Bezug auf Pass- und Visumerfordernisse ausschließlich über aufenthaltsrechtliche Bestimmungen am Reiseziel und bei Transitaufenthalten informieren.

• Aussagen über die Gültigkeit des Reisepasses des Reisenden muss der Reiseveranstalter jedoch nicht treffen.

TENOR BGH X ZR 134/13 Urteil vom 20.05.2014

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt ist. Die Berufung der Klägerin wird insgesamt zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits und der Streithilfe hat die Klägerin zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

TATBESTAND Anwendungsbereich des Reiserechts (BGH X ZR 134/13 Urteil vom 20.05.2014)

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht Minderung und Schadensersatz aus einem Reisevertrag. Der Ehemann der Klägerin buchte Anfang Dezember 2009 im Reisebüro der Streithelferin für sich und die Klägerin einen von der Beklagten angebote-nen Hotelaufenthalt in New York (USA) mit vier Übernachtungen im Februar 2010 zum Gesamtpreis von 880 €. Weiterhin buchte er für sich und die Klägerin von einem anderen Anbieter angebotene Flüge nach New York und zurück zum Preis von 821,16 €. Die Klägerin ist Italienerin und erhielt unter Verwendung ihres Reisepasses von den US-amerikanischen Behörden eine ESTA-Genehmi-gung (Electronic System for Travel Authorization), die sie von dem Erfordernis befreite, für die Einreise ein Visum zu beantragen. Ihr italienischer Reisepass enthielt (in italienisch, englisch und französisch) die Angabe, der Pass sei gültig für die Mitgliedsstaaten der EU und zum Transit durch Nicht-EU-Staaten. Die Fluggesellschaft der Klägerin verweigerte am Abflugort bei Prüfung des Passes die Beförderung. Daraufhin trat auch der Ehemann der Klägerin die Reise nicht an. Als Kulanzzahlung erhielt die Klägerin von der Beklagten 1.022,62 €. Die Klägerin verlangt unter Anrechnung der Kulanzzahlung die Rückzah-lung der Reisekosten sowie Schadensersatz für Aufwendungen am Abflugort und die Rückreise zum Wohnort sowie eine Entschädigung wegen nutzlos auf-gewendeter Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 2.398,18 € und stützt dies da-rauf, dass die Beklagte sie nicht über die für sie geltenden Pass- und Visumer-fordernisse für die Einreise in die USA informiert habe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage im Wesentlichen statt-gegeben (LG Frankfurt am Main, RRa 2014, 19). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel einer Klageabweisung weiter.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE BGH X ZR 134/13 Urteil vom 20.05.2014

Verletzung von Informationspflichten durch Reiseveranstalter

Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Trotz der Säumnis der Klägerin und Revisionsbeklagten in der Revisionsinstanz beruht das Urteil auf einer vollständigen rechtlichen Nachprü-fung im Umfang der Anfechtung (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. September 2005 - X ZR 62/03, GRUR 2006, 223 mwN). Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe durch die Verletzung von Informationspflichten die Reise der Eheleute vereitelt und schulde die Rückzahlung des Reisepreises für die Hotelbuchung. Es könne offen bleiben, ob Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen eine richtli-nienkonforme Auslegung der §§ 4 Nr. 6, 5 Nr. 1 BGB-InfoV gebiete, nach der der Reiseveranstalter auch nicht deutsche Unionsbürger über die Reise betref-fenden Pass- und Visumerfordernisse informieren müsse. Der Reiseveranstal-ter sei bereits nach allgemeinen reisevertraglichen Grundsätzen auch gegen-über solchen Reisenden zu einer Information über Pass- und Visumerfordernis-se verpflichtet, wenn die ausländische Staatsangehörigkeit des Reisenden bei Vertragsschluss erkennbar gewesen sei. Da für die Mitarbeiterin der Streithelfe-rin die Staatsangehörigkeit der Klägerin im Hinblick auf die ihr vorgelegten Un-terlagen klar erkennbar gewesen sei, hätte die Beklagte ungefragt über die be-stehenden Pass- und Visumerfordernisse für eine Einreise der Klägerin als Ita-lienerin informieren müssen. Sie hätte dabei darauf hinweisen müssen, dass die Klägerin einen italienischen Reisepass benötige, der weltweit für die Einreise in alle Länder gültig sein müsse und hierfür eine Erweiterung des Reisepasses durch einen entsprechenden Stempel der italienischen Behörden erforderlich sei. Es handele sich um ein offensichtlich gängiges Problem mit italienischen Reisepässen, das einem großen Reiseveranstalter wie der Beklagten geläufig sein müsse und einem italienischen Reisekunden im Rahmen der ihm gegen-über bestehenden Informationspflichten darzulegen sei.

Anwendung der §§ 651 a ff. auch bei nur einer Reiseleistung durch Reiseveranstalter

Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem entschei-denden Punkt nicht stand. 1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die für einen Reisevertrag geltenden Vorschriften der §§ 651a bis 651m BGB entsprechend angewendet, auch wenn die Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann mit der Unterkunft in einem Hotel in New York nur eine einzige Reiseleistung schuldete. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 651a ff. BGB scheidet damit zwar wegen des Fehlens einer Gesamtheit von mehreren Reiseleistungen aus. We-gen einer erkennbar planwidrigen Lücke im Gesetzgebungsverfahren zum Ge-setz über den Reiseveranstaltungsvertrag vom 4. Mai 1979 (vgl. BT-Drucks. 8/786; 8/2343) sind die §§ 651a ff. BGB gleichwohl auf einen Vertrag entspre-chend anzuwenden, der nur die Buchung einer Ferienunterkunft bei einem Rei-severanstalter zum Gegenstand hat, wenn der Veranstalter diese Leistung er-kennbar in eigener Verantwortung erbringen soll und aus der Sicht eines durch-schnittlichen Reisekunden sowie nach dem ihm unterbreiteten Angebot diese einzelne Reiseleistung mit gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten wie bei einer Reise erbracht werden soll, bei der neben der Ferienunterkunft noch eine zweite Leistung wie zum Beispiel der Transport zum Reiseziel vereinbart worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juli 1992 - VII ZR 7/92, BGHZ 119, 152 unter IV 2 c; vom 23. Oktober 2012 - X ZR 157/11, NJW 2013, 308 Rn. 12, 25; vom 28. Mai 2013 - X ZR 88/12, RRa 2013, 222 Rn. 8, 10).Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Hotelunterkunft in New York als eine eigene Leistung angeboten, die sich in ihr Gesamtangebot für Reiseleistungen verschiedener Art einfügt und genauso gut auch in Kombinati-on mit einer zweiten Leistung bei ihr hätte gebucht werden können. Der Vertrag unterliegt damit der entsprechenden Anwendung der §§ 651a ff. BGB.

Informationspflicht bezüglich der Pass- und Visumerfordernisse durch Reiseveranstalter

Ob die Beklagte die Klägerin über die für sie geltenden Pass- und Visumerfordernisse für eine Einreise in die USA informieren musste, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn es beruht nicht auf einer fehlenden, von der Beklagten geschuldeten Information, dass die Klägerin nicht in die USA ein-reisen konnte. Die den Reiseveranstalter treffenden Informationspflichten sollen den Reisekunden auf Umstände hinweisen, die ihm möglicherweise unbekannt sind, weil der Reisende mit der Reise auch und gerade unbekanntes Terrain erkunden möchte. Der Reiseveranstalter hat die hierfür erforderliche Organisa-tion übernommen und somit ein Informationsgefälle gegenüber dem Reisenden auszugleichen. Mit den reiserechtlichen Informationspflichten soll der Reise-kunde deshalb vornehmlich über Umstände informiert werden, die ihm unbe-kannte Gegebenheiten am Reiseziel sowie den Transport dorthin betreffen und für das Gelingen der Reise erforderlich sind. Hierzu gehören auch die aufent-haltsrechtlichen Bestimmungen, ohne deren Beachtung der Reisende das Rei-seziel nicht betreten darf. Demnach bezieht sich die Pflicht zur Information über Pass- und Visumerfordernisse nur auf solche Erfordernisse, die sich aus dem Reise- oder Transitland ergeben, das der Reisende betreten möchte. Nach dem unbestrittenen und von der Revision hervorgehobenen Vortrag der Beklagten genügte für die Einreise der Klägerin in die USA als Itali-enerin ein Reisepass und eine im ESTA-Verfahren beantragte Befreiung von der Beantragung eines Visums. Weitere Informationen musste die Beklagte der Klägerin nicht geben. Dass eine Prüfung seitens der Grenzbehörden der USA vorbehalten blieb, war eine Information, die für den Streitfall keine Bedeutung hatte. Entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil musste die Be-klagte weder darüber informieren, dass Inhaber von italienischen Reisepässen sich über dessen mitunter nur beschränkte Gültigkeit irren können, noch welche Maßnahmen in diesen Fällen zu ergreifen sind, um einen weltweit gültigen itali-enischen Reisepass zu erhalten. Dass ein Reisepass für die Einreise gültig sein muss, ist eine Selbstverständlichkeit, die keines Hinweises an den Reisenden bedarf. Ob ein Reisepass gültig ist, ergibt sich aus den passrechtlichen Bestim-mungen des Staates, dem der Reisende angehört. Irrtümer und mangelnde Kenntnisse über die Gültigkeit des Reisepasses ergeben sich deshalb nicht aus einer Unkenntnis über die Reise, das Reiseziel oder über die Bestimmungen der Transitländer. Die Gültigkeit des eigenen Reisepasses ist eine eigene recht-liche Angelegenheit des Reisenden, die keinen Bezug zu den aufenthaltsrecht-lichen Bestimmungen des Reiseziels oder eines Transitlandes aufweist. Hier-über muss der Reiseveranstalter sich daher weder selbst noch den Reisenden informieren. Insofern macht es für den Reisenden keinen Unterschied, zu prü-fen, ob die Gültigkeit seines Reisepass nicht schon abgelaufen ist oder nur für eine beschränkte Anzahl von Ländern gültig ist. Wenn ein weltweit unbe-schränkt gültiger italienischer Reisepass nur nach Zahlung eines weiteren Be-trages an die ausstellende Behörde erhältlich ist, wie es von der Beklagten als ein Grund für die Nichtbeförderung der Klägerin unbestritten vorgetragen wurde und die Revision geltend gemacht hat, obliegt es deshalb auch insoweit dem Reisenden in eigener Verantwortung dafür Sorge zu tragen. Da es sich dabei nicht um einen Umstand handelt, der sich aus den aufenthaltsrechtlichen oder anderen Gegebenheiten am Reiseziel oder eines Transitlandes ergibt, schuldet die Beklagte als Reiseveranstalter insoweit keine Überwachung. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten demnach eine der Klägerin gegebene Information, dass sie für eine Einreise in die USA einen Reisepass und eine ESTA-Genehmigung benötige, zu keinem anderen Kausalverlauf geführt, denn die Klägerin ist mit ihrem Reisepass zur Anreise am Flughafen erschienen, nachdem sie eine ESTA-Genehmigung erhalten hatte. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat die Klage insgesamt abweisen und das erstinstanzliche Urteil wiederherstellen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.